Im Herzen der katholischen Kirche befindet sich das Petrusgrab, das im Lauf der Zeit zum zentralen Punkt der Vatikanbasilika geworden ist. Von Anfang an, gleich nach dem Tod des Apostels, zog es Pilger und Gläubige an. Die von Papst Pius XII. und Paul VI. gewünschten archäologischen Forschungen haben dort überzeugende Beweise zutage gefördert. Mit Prof. Vincenzo Fiocchi Nicolai blicken wir auf die Geschichte dieser Entdeckungen zurück, die zu den sensationells-ten in der Geschichte der Archäologie gehören.
Genau unter der Kuppel Michel-angelos liegt das Petrusgrab: Eine senkrechte Linie führt vom Scheitelpunkt der Kuppel bis in die unterirdische Dunkelheit und durchquert dabei Jahrhunderte der Geschichte und verschiedene Bauphasen. Am Endpunkt wurden in der bloßen Erde die sterblichen Überreste des heiligen Petrus beigesetzt, der nicht weit entfernt, im unter Nero erbauten Circus, gekreuzigt worden war. Der Apostel wurde in der Nekropole des Ager Vaticanus zwischen vielen namenlosen Menschen begraben, die genauso arm waren, wie er selbst. Doch Petrus selbst geriet nicht in Vergessenheit. Der Ort wurde sofort zu einem Ziel für Pilger. Hier entstanden im Lauf der Jahrhunderte immer prächtigere Denkmäler: eine einfache Ädikula, das sogenannte Gaius-Tropaion, später umschlossen vom Grabmonument Konstantins, dann die große Anlage Gregors des Großen (590-604), schließlich die Pallien-nische mit dem Christusmosaik aus dem
9. Jahrhundert, der Altar von Papst Calix-
tus II. (1123) und der Altar von Papst Clemens VIII. (1549), über dem sich Berninis großer Baldachin erhebt.
Kuppel und Baldachin
Von der goldenen Pracht des Barock über den Glanz des Mittelalters und die Nüchternheit des 4. Jahrhunderts zurück zu einer kleinen Ädikula über einem einfachen Erdgrab: Im Laufe der Jahrhunderte entstand um die Grabstätte herum die Basilica ad corpus, der einzige Fall in der christlichen Welt, wo ein Sakralbau direkt über dem Grab eines Märtyrers errichtet wurde, aber in diesem Fall handelt es sich um Petrus, den ersten Bischof der Kirche von Rom.
Es ist eine komplexe Geschichte, die sich um das Grab des Petrus rankt. Im Laufe der Zeit wurde die Erinnerung zum Glauben, bis Pius XII. 1939 beschloss, archäologische Ausgrabungen vorzunehmen, die sowohl wegen der Kriegszeit als auch wegen der objektiven Bedingungen, unter denen sie durchgeführt wurden, sehr schwierig waren. Das Petrusgrab wurde wiedergefunden. In der Weihnachts-Radioansprache vom 23. Dezember 1950, am Ende des Heiligen Jahres, verkündete der Pacelli-Papst: »Die entscheidende Frage ist: Ist das Grab des heiligen Petrus wirklich gefunden worden? Diese Frage beantwortet das endgültige Ergebnis der Ausgrabungen und Forschungen mit einem ganz klaren Ja. Das Grab des Apostelfürsten ist gefunden worden.«
Das Petrusgrab
Gemeinsam mit Prof. Vincenzo Fiocchi Nicolai, Professor für Topographie der christlichen Friedhöfe am Päpstlichen Institut für Christliche Archäologie, werfen wir einen Blick auf die Ereignisse dieser Entdeckungen, die zu den sensationellsten in der Geschichte der Archäologie gehören. »Dass sich das Petrusgrab dort befindet, wird durch eine ganze Reihe von Elementen bewiesen«, unterstreicht Professor Fiocchi Nicolai. »Genau unter dem Altar aus dem späten 16. Jahrhundert wurden der mittelalterliche Altar und das Marmordenkmal Konstantins gefunden, das die Grabädikula einschließt, gleichsam ineinander geschachtelt wie russische Matroschka-Puppen. Das Grab befindet sich in einem sepulkralen Kontext, das heißt es ist umgeben von weiteren Grabstellen, die man in die letzten Jahrzehnte des 1. und den Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. datieren kann. Sie bestätigen zusammen mit weiteren Elementen wie den Graffiti, dass es sich um das Grab des Apostels handelt.«
Schriftquellen
Die Graffiti sind sehr wichtig, weil sie eindeutige Beweise für die Verehrung des heiligen Petrus an diesem Ort und für die vielen Gläubigen der römischen Gemeinde sind, die den Ort aufgesucht haben. Dort befand sich das berühmte »Tropaion«, von dem Eusebius von Caesarea in seiner Kirchengeschichte (II,25,6-7) berichtet. Eusebius erzählt von einem Gaius – wahrscheinlich ein Priester und sicherlich Römer –, der einem häretischen Montanisten namens Proclus, das Vorhandensein der Gräber der beiden Apostel Petrus und Paulus in Rom als Gegenargument vor Augen stellt, wenn er sagt: »Ich kann dir die Tropaia der Apostel zeigen. Denn wenn du zum Vatikan gehen willst oder auf die Straße nach Ostia, wirst du die Tropaia derer finden, die diese Kirche gegründet haben.« Es handelt sich um exakte topographische Angaben, die auch im Liber pontificalis zu finden sind. Dort wird in Bezug auf Petrus über die Erwähnung von berühmten Monumenten aus der Kaiserzeit hinaus gesagt, dass sich das Grab zwischen der Via Aurelia und der Via Triumphalis befindet.
Das Tropaion des Gaius
Das Tropaion ist eine kleine Ädikula aus Säulen, einer Travertinplatte und einem Tympanon, das heißt einem dreieckigen Giebel. Darunter befand sich das Erdgrab mit den sterblichen Überresten des heiligen Petrus. Prof. Fiocchi Nicolai erläutert: »Tropaia sind Siegeszeichen, Denkmäler für einen Triumph, einen Sieg, die das Grab eines Apos-tels und Märtyrers auszeichnen, der im Martyrium den Tod besiegt hat. Wir können also diese Ädikula aufgrund der Erwähnung bei Eusebius datieren, denn er gibt als Lebenszeit von Gaius das Pontifikat von Papst Zephyrinus an: zwischen 198 und 217. Zu jener Zeit existierte die Ädikula also bereits, und aus archäologischen Gründen können wir sie in die Jahre um 160 n. Chr. datieren. Mit Sicherheit ist das die Ädikula, die das Grab kennzeichnete.«
»Petrus ist hier«
»Die Graffiti befinden sich auf einer rot verputzen Mauer. Auf einem kleinen Fragment dieser berühmten ›Roten Mauer‹ kann man den Teil einer Inschrift lesen. In der oberen Zeile ist der Name ›Petros‹ zu erkennen und darunter ebenfalls auf Griechisch ein Ypsilon und dann ein Jota. Die Inschrift wird unterschiedlich gedeutet. Die einleuchtendste Deutung stammt von Frau Professor Margherita Guarducci: ›Petros eni‹, das heißt ›Petrus ist hier› oder ›Petrus ist hier drin‹, was sich nicht auf das Grab bezieht, sondern auf die sekundäre Aufbewahrung der Gebeine in einem mit Marmor ausgekleideten Loculus (Hohlraum) aus der Zeit Konstantins in der sogenannten Mauer G. Eine dritte Deutung wäre eine Anrufung an Petrus, wenn man die beiden Buchstaben als Teil des griechischen Wortes ›eirene‹ – Frieden – interpretiert: ›Petrus in Frieden‹.« Daraus sei zu schließen, so Fiocchi Nicolai, »dass der Name Petrus an dieser Stelle nur der des Apostels sein kann«.
Hunderte Graffiti
als Glaubenszeugnisse
Der Professor fügt hinzu: »Auf der Mauer G« – einer Mauer die zu einem späteren Zeitpunkt rechts von der Ädikula in rechtem Winkel zur roten Mauer errichtet wurde – »befinden sich Hunderte von Graffiti, die sehr schwer zu entziffern sind. Erkennbar ist, dass es sich um Namen, Anrufungen und christliche Symbole handelt, die darauf hinweisen, dass es an diesem Grab eine besondere Verehrung gab, das dann zum Ausgangspunkt für alles später Errichtete wurde, bis hin zum heutigen Papstaltar und dem Baldachin.«
Sind es wirklich die Gebeine des heiligen Petrus?
Das Grab des Apostelfürsten ist gefunden worden«, hatte Papst Pius XII. verkündet. Aber hatte man auch die Gebeine des heiligen Petrus gefunden? So begann eines der spannendsten Kapitel in der Geschichte der Archäologie: Protagonistin eine Frau, die Florentiner Archäologin und Epigraphikerin Margherita Guarducci (1902-1999), der wir auch die Entzifferung der Graffiti verdanken, insbesondere desjenigen, das sich auf Petrus bezieht.
Bei den von Papst Pacelli angeregten Ausgrabungen zwischen 1939 und 1958 wurde das Grab des Petrus freigelegt, aber unter der Gaius-Ädikula fand man keine Gebeine. Der besagte Hohlraum in Mauer G »ist in einer unbestimmten Zeit, auf jeden Fall aber vor Konstantin, entstanden. Der Kaiser hatte die Mauer zusammen mit der Ädikula in einen mit kostbarem rotem Porphyr verzierten Marmorschrein eingeschlossen, den man heute noch von der Cappella Clementina aus sehen kann. Der mit Marmor ausgekleidete Hohlraum muss also eine große Bedeutung gehabt haben. Allerdings schrieben die vier Entdecker in ihrem offiziellen Bericht, dass er im Wesentlichen leer gewesen sei«, so Fiocchi Nicolai.
Ein archäologischer Krimi
Etwa zehn Jahre später gelang es Margherita Guarducci mit detektivischem Spürsinn mehr herauszufinden. Sie sprach mit einem der Arbeiter, der in den ersten Jahren an den Ausgrabungen beteiligt war. Er erzählte ihr, dass der Hohlraum ohne Wissen der vier Archäologen bei den normalen Arbeiten geleert worden sei. Die dort gefundenen Knochen befänden sich im Magazin in einer kleinen Holzkiste. »Das bedeutet, dass ein Arbeiter die Knochen in diese schuhschachtelgroße Kiste gelegt hat, die dann im Magazin verschwand«, erzählt der Professor des Päpstlichen Instituts für christliche Archäologie. »In der Kiste befand sich ein Zettel, der den Fundort bestätigte. Es handelt sich um Knochenfragmente, die kein vollständiges Skelett ergeben.
Bei der anthropologischen Untersuchung konnte man feststellen, dass sie einem Mann in reifem Alter zuzuschreiben sind, der in der Zeit des heiligen Petrus gelebt haben könnte. Die Untersuchungen können nicht belegen, dass diese Gebeine dem heiligen Petrus gehören, aber man kann sagen, dass sie kompatibel sind. Es könnte so gewesen sein, dass man bei der Errichtung des konstantinischen Marmorschreins das, was von den Gebeinen des heiligen Petrus übrig war, aus der Erde genommen hat und sie in diesen Hohlraum in der Mauer G gelegt hat, um sie für immer zu bewahren.«
Eine freudige Nachricht
Bei der Generalaudienz am 26. Juni 1968 sprach der heilige Papst Paul VI. über die archäologischen Arbeiten am Petrusgrab und schickte voraus, dass die Erforschung, die wissenschaftliche Überprüfung sowie Diskussionen und Kontroversen dadurch nicht erschöpft seien. Doch könne er eine »freudige Nachricht« verkünden: »Wir können uns freuen und jubeln, da wir Grund zu der Annahme haben, dass die wenigen, aber heiligen sterblichen Überreste des Apostelfürsten aufgespürt worden sind: des Simon, Sohn des Jona, des Fischers, dem Christus den Namen Petrus gab, desjenigen, der vom Herrn zum Fundament seiner Kirche auserwählt wurde und dem der Herr die Schlüssel seines Reiches anvertraut hat, mit der Aufgabe, seine Herde, die erlöste Menschheit, bis zu seiner endgültigen Wiederkunft in Herrlichkeit zu hüten und zu sammeln.«
Als Symbol für die Einheit der Kirche verschenkte Reliquien
Neun Knochenstücke kehrten nicht an den Fundort zurück, denn der Papst hatte sie in ein Bronzereliquiar einfügen lassen, das fortan in der Privatkapelle der Päpste stehen sollte. Papst Franziskus schenkte sie 2019 am Hochfest der Apostel Petrus und Paulus dem Patriarchen von Konstantinopel. In der Inschrift auf dem Reliquiar werde das Verb »putantur« verwendet, so der Professor, was eine gewisse Vorsicht zum Ausdruck bringe: »Ex ossibus quae in Arcibasilicae Vaticanae hypogeo inventa Beati Petri Apostoli esse putantur. – Von den Knochen, die im Hypogeum der Vatikanischen Basilika gefunden wurden, von denen man annimmt, dass sie vom seligen Apostel Petrus stammen.«
Der Faden der Erinnerung
ist nie zerrissen
Die Archäologie ist eine Wissenschaft, die sich auf Fakten stützt. Aber häufig sind es die Schlussfolgerungen, die es ermöglichen, Geschichte zu rekonstruieren. In Bezug auf das Grab und die Gebeine des heiligen Petrus lässt sich aus den am Ort des Grabes und der Confessio vorhandenen Elementen ein der Wahrheit entsprechendes Bild zusammensetzen, denn neben den materiellen Spuren ist die Geschichte des Glaubens entscheidend: einen Glauben, den hier im Laufe der Jahrhunderte Tausende und Abertausende Pilger, Päpste und Heilige zum Ausdruck gebracht haben. Sie alle haben den Faden der Erinnerung geknüpft und ihn so unzerstörbar gemacht.
(Orig. ital. in O.R. 19.6.2024)
Von Maria Milvia Morciano