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An den Ursprüngen des römischen Christentums

 An den Ursprüngen  des römischen Christentums  TED-029
19. Juli 2024

Das dritte Jahrtausend hatte gerade begonnen. Die Gestalt des heiligen Paulus von Tarsus begann neues Interesse zu wecken: Sensationelle Entdeckungen bringen erst in der römischen Katakombe »Santa Tecla« das ältes-te Porträt des Völker-apostels ans Tageslicht und dann unter dem Papstaltar in St. Paul vor den Mauern einen Sarkophag aus ungeglättetem Marmor, der mit dem Autor der 13 Briefe des Neuen Testaments in Verbindung gebracht wird.

Die Bestätigung kommt am 29. Juni 2009, in der Ersten Vesper zum Abschluss des Paulusjahres. Benedikt XVI. teilt bei diesem Anlass die Ergebnisse der sorgfältigen wissenschaftlichen Untersuchung mit, die 2000 Jahre nach Paulus’ Geburt am Grab durchgeführt wurde: Eine in den Sarkophag eingeführte Spezialsonde hat Spuren eines kostbaren purpurfarbenen, mit feinstem Gold laminierten Leinentuches gezeigt, außerdem eines blauen Stoffes mit Leinenfasern, von roten Weihrauchkörnern sowie proteinhaltige und kalkhaltigen Substanzen. Außerdem wurden winzige Knochensplitter entdeckt. Diese wurden von Experten, die nichts von ihrer Herkunft wussten, einem Karbon-14-Test unterzogen und auf einen Menschen zurückgeführt, der im 1. oder 2. Jahrhundert gelebt hat. »Das scheint die einmütige und unbestrittene Überlieferung zu bestätigen, der zufolge es sich um die sterblichen Überreste des Apostels Paulus handelt«, kommentiert Papst Benedikt.

15 Jahre später gehen wir zum Grab, begleitet von P. Lodovico Torrisi, Novizenmeis-ter in der Abtei St. Paul vor den Mauern, wo seit dem 8. Jahrhundert Benediktinermönche leben. »Das Grab wurde nie geöffnet«, erläutert er, »weil die Erschütterungen bei der Entfernung des Deckels, der Kontakt mit Licht und Sauerstoff das, was von Paulus’ Leib übrig ist, zerstören, zersetzen könnten.«

Am Fuße des Altars, unter dem wunderbaren Ziborium, das 1285 von dem berühmten Bildhauer Arnolfo di Cambio geschaffen wurde, ist der 2006 von Forschern ans Tageslicht geholte Stein des Sarkophags sichtbar. Eine Flamme brennt ununterbrochen, Tag und Nacht, um die Sakralität des Ortes anzuzeigen. Daneben ist ein Schrein aus Bronze und Glas zu sehen, der die Kette der römischen Gefangenschaft des Apostels enthält. Sie wird seit dem 4. Jahrhundert in der Basilika aufbewahrt und an jedem 29. Juni, Hochfest der heiligen Apostel Petrus und Paulus, in einer Prozession durch das Langhaus getragen.

Die Grabplatte

Durch ein Gitter sieht man unterhalb der Fußbodenebene eine Marmorplatte, die aus zwei Stücken zusammengesetzt ist: Sie misst 2,12 x 1,27 Meter. Auf ihr prangt die Inschrift PAULO APOSTOLO MART, und sie enthält drei Öffnungen: eine runde und zwei quadratische. Sie geht auf das 4. bis 5. Jahrhundert zurück und ist Zeugnis der Verehrung, die dem Ort von Anfang an entgegengebracht wurde, noch vor dem Bau einer Kirche. Die Löcher waren für Berührungsreliquien gedacht, das heißt durch sie wurden Stoffstreifen eingeführt, die dann das Grab berührten.

»Die Enthauptung des heiligen Paulus« – so Torrisi weiter – »hat sehr nah beim Begräbnisort stattgefunden, etwa vier Kilometer von der Basilika entfernt, bei den ›Acque Salvie‹, wo heute die Abtei Tre Fontane steht. Hierher wurde Paulus vom Mamertinischen Kerker aus, wo er gefangen gehalten worden war, geführt. Die Historiker haben den Grund, warum das Martyrium hier stattgefunden hat, noch nicht ausfindig machen können.« Er wurde außerhalb der Aurelianischen Stadtmauern enthauptet, in einer Gegend an der Via Ostiense, wo die Luft ungesund war, zwischen 65 und 67, unter Kaiser Nero.

Als der Kopf zu Boden fiel, schlug er dreimal auf, und der Überlieferung zufolge sprudelten an diesen drei Punkten auf wunderbare Weise drei Quellen hervor: die erste warm, die zweite lauwarm, die dritte kalt. Auf dem Weg, der seitlich an der Trappistenabtei entlangläuft, wurde vor nicht allzu langer Zeit ein Straßenpflaster nachgebildet, wie man es im antiken Rom hatte, damit man sich den Weg vorstellen kann, den der Heilige vor seiner Hinrichtung gegangen ist. Eine Marmorinschrift an der Fassade der im 5. Jahrhundert errichteten Kirche »San Paolo al Martirio«, die 1599 vom Architekten Giacomo della Porta renoviert wurde und zur Abteianlage gehört, lautet: »S. Pauli Apostoli martyrii locus ubi tres fontes mirabiliter eruperunt.« Im Innern des Gotteshauses sind drei kleine Kapellen zu sehen, die jeweils über einer der Quellen erbaut wurden, in einer Reihe im gleichen Abstand, aber auf unterschiedlichen Ebenen. 1950, infolge der Urbanisierung und der darauffolgenden Grundwasserverschmutzung, wurde der Wasserfluss geschlossen und die Verteilung an die Gläubigen eingestellt.

Auf Veranlassung der Juden gefangengenommen, war Paulus im Jahr 61 nach Rom gekommen, um dort als römischer Bürger verurteilt zu werden. Denn als Jude mit dem Namen Saulus geboren, besaß er die römische Staatsbürgerschaft, wie alle Einwohner von Tarsus, seiner Heimatstadt, in Kilikien, im Süden der heutigen Türkei. Nach Jerusalem umgesiedelt, war er Vertrauensmann des Hohen Rates geworden und wurde später zum erbitterten Christenverfolger. Auf dem Weg nach Damaskus im Jahr 36 fand seine Bekehrung statt. »Der heilige Paulus«, merkt P. Torrisi an, »wird mit dem Schwert dargestellt, um zu zeigen, wie er das Wort Gottes verteidigt hat. Um das Evangelium zu verteidigen, ist er dann durch das Schwert einen schrecklichen Tod gestorben, als mutiger Kämpfer.«

Beisetzung an der Via Ostiense

»Es heißt, dass nach der Enthauptung eine römische Matrone, eine Christin, sich um den Leichnam kümmerte, ihn in einen Sarkophag legte und er an der Via Ostiense beigesetzt wurde«, fügt der Benediktiner hinzu. Den uns überlieferten Berichten zufolge hieß diese Frau Lucina: Zwei Meilen von den »Acque Salvie« entfernt besaß sie ein Grab-areal innerhalb eines heidnischen Friedhofs, der etwa 5000 Gräber zählte. Grabungen haben die Existenz dieser Nekropole mit Grabnischen, die für Arme und freigelassene Sklaven vorgesehen war, bestätigt.

Paulus’ Haupt wurde in einem zweiten Moment gefunden und über dem Ziborium der Lateranbasilika aufbewahrt, zusammen mit dem Haupt des Petrus, der in den vatikanischen Grotten beigesetzt ist. Der Überlieferung zufolge wurden beide am selben Tag getötet.

Ihre sterblichen Überreste wurden zusammengelegt, auch weil beide während der Verfolgungen in den Katakomben »San Sebastiano« in Sicherheit gebracht wurden. Das dokumentieren Graffiti und Votivgaben, die an der archäologischen Grabungsstelle an der Via Appia entdeckt wurden. Später wurden die Überreste der beiden Schutzpatrone von Rom wieder an ihre ursprünglichen Begräbnisstätten zurückgeführt.

Paulus’ Begräbnisstätte wurde von Anfang an zum Pilgerziel für die Gläubigen, die sich zum Gebet dorthin begaben und zu Ehren des Heiligen eine »cella memoriae« errichteten. Bereits in den ersten Jahren wollten zahlreiche Getaufte sich in der Umgegend bestatten lassen, und aus der heidnischen wurde allmählich eine christliche Nekropole.

Fundstücke im Kreuzgang

»Viele wollten ihr eigenes Grab in der Nähe des Apostelgrabes haben«, sagt der Benediktiner und weist auf die zahlreichen lateinischen, griechischen und hebräischen Inschriften, die an den Mauern des Kreuzgangs der Abtei St. Paul vor den Mauern, der von Pietro Vassalletto entworfen und verziert wurde, angebracht sind. »Bei den verschiedenen Rekonstruktionsarbeiten, Grabungen und Arbeiten zur Verstärkung der Fundamente stieß man auf viele Fundstücke, heidnische und christliche Gräber. Wahrscheinlich handelte es sich um Menschen von einem gewissen gesellschaftlichen Rang. Das römische Christentum entsteht genau hier in dieser Gegend.« Unter den kostbarsten Artefakten, die 1838 in diesem Areal gefunden wurden, sticht der »›Dogma‹-Sarkophag« aus dem 4. Jahrhundert hervor, der heute in den Vatikanischen Museen aufbewahrt wird.

Nachdem durch das Edikt von Mailand im Jahre 313 die Religionsfreiheit gewährt worden war, wollte Kaiser Konstantin die Erinnerung an den Völkerapostel würdevoll ehren, indem er im Jahr 324 über dem ursprünglichen Bestattungsort eine Basilika erbauen ließ, deren Fundament noch heute zu Füßen des Papstaltars sichtbar ist. Der Leib des Heiligen wurde zunächst in einen Kupfersarg verschlossen. Das anfangs nicht sehr große Gotteshaus wurde später von den
Kaisern Theodosius, Arkadius und Valentinian II. erweitert. So entstand eine riesige fünfschiffige Basilika, die als »Theodosianische Basilika« oder »Basilika der drei Kaiser« bekannt ist.

Im 12. und 13. Jahrhundert lösten große Künstlerpersönlichkeiten einander am Bau ab, wie Pietro Cavallini, dessen Fresken leider verlorengegangen sind, und Arnolfo del Cambio, der Schöpfer des Ziboriums, das zusammen mit dem kostbaren Kandelaber für die Osterkerze von Vassalletto den verheerenden Brand überlebt hat, der im Juli 1823 in einer einzigen Nacht die Theodosianische Basilika zerstörte.

Die Ursachen des verheerenden Feuers sind unbekannt; einige führen sie auf eine Fackel zurück, die vielleicht von Arbeitern, die Reparaturarbeiten am Dach durchführten, unbeaufsichtigt gelassen worden war. Am Tag nach der Katastrophe begaben sich die Römer in Massen dorthin, um zu sehen, was von der Kirche übriggeblieben war. Das Szenario war trostlos und erschütternd. Ein außergewöhnlicher Zeuge, der französische Schriftsteller Stendhal, beschrieb es als »eines der großartigsten Schauspiele«, die er jemals gesehen hätte: »Es schien mir von strenger Schönheit, traurig wie die Musik von Mozart. Die schmerzlichen, schrecklichen Spuren des Unglücks waren noch lebendig; die Kirche war noch voll von rauchenden, halbverkohlten schwarzen Balken; die Säulenschäfte, der ganzen Länge nach gerissen, drohten jeden Moment herunterzufallen.«

Am 25. Januar 1825 richtete Leo XII. mit der Enzyklika Ad plurimas einen Aufruf an die Gläubigen zum Wiederaufbau des Gotteshauses. Es wird dann originalgetreu wiederaufgebaut, wobei die vom Feuer verschonten Stücke wiederverwendet werden, um die christliche Überlieferung der Ursprünge zu bewahren, und von Pius IX. am 10. Dezember 1854 geweiht. In Sankt Paul vor den Mauern entstand in jenen Jahren die eindrucksvollste Baustelle der Römischen Kirche des 19. Jahrhunderts. Die Basilika, die daraus hervorging, ist genau die, die sich heute unserem Blick präsentiert.

Nicht nur die Katholiken, sondern die ganze Welt kam dem Aufruf Leos XII. massenhaft nach: Blöcke aus Malachit und Lapislazuli wurden von Zar Nikolaus I. gespendet; Säulen und Fenster aus feinstem Alabaster kamen von König Fu’ad I. von Ägypten. Paulus von Tarsus bestätigte sich bei dieser Gelegenheit als universaler Bezugspunkt für Gläubige und Völker. Die große Gemeinschaft von Menschen, die um diesen Giganten der Christenheit versammelt ist, wird von den Marmortafeln an den Apsismauern verdeutlicht, auf denen die Namen der zahlreichen Kardinäle und Bischöfe eingemeißelt sind, die am Tag der Weihe anwesend waren. Sie waren in Rom zur Verkündigung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis. Sie nahmen zusammen mit dem Nachfolger Petri an der Feier teil, symbolisch unter dem Blick aller Päpste der Geschichte, die als Mosaik auf den großen Medaillons abgebildet sind, die die Seitenschiffe des Langhauses verzieren.

Apostel der Völker

Bekanntlich galt das Apostolat des Paulus nicht nur den Juden, sondern allen Völkern: In Arabien, Kleinasien, Makedonien, Zypern, Griechenland gründete er zahlreiche christliche Gemeinden. Sinnbildlich für das Pilgern des Völkerapostels ist die Reliquie des Wanderstabs, den er auf den Reisen benutzte und der im Museum der römischen Basilika aufbewahrt wird. »Paulus wird von der Weltbevölkerung verehrt, von Christen und Nichtchristen«, sagt P. Torrisi. »Er ist eine grundlegende Gestalt für die Einheit der Christen.« In der Basilika finden ökumenische Feiern und Veranstaltungen statt. Mit diesem Ort sind Ereignisse und Gegenstände verbunden, die unter diesem Gesichtspunkt besonders bedeutsam sind. Hier, in der Wohnung des Abts, verkündete Johannes XXIII. am 25. Januar 1959 den Kardinälen die Absicht, das Zweite Ökumenische Vatikanische Konzil einzuberufen. Und im Jahr 2006 kam Benedikt XVI. dem Wunsch des heiligen Johannes Paul II. nach, Christodoulos, dem Patriarchen von Athen, zwei Glieder der Ketten des Völkerapostels zu schenken.

Auf dem Weg zur vollen Einheit der Chris-ten nimmt schließlich die Tür der Heiligen Pforte der Basilika St. Paul vor den Mauern, die am kommenden 5. Januar geöffnet werden wird, einen herausragenden Platz ein: »Sie hat eine sehr große Bedeutung. Sie wurde in Konstantinopel geschaffen und im Jahr 1070 geschenkt. Ursprünglich verschloss sie den Haupteingang. Der Brand hat sie beschädigt und ihre Dimensionen reduziert. So wurde sie an einen Seiteneingang verlegt. Im Hinblick auf das Heilige Jahr«, so P. Torrisi abschließend, »hoffen wir, dass Gläubige, Pilger und Touristen aus aller Welt hier eine gute Erfahrung der tiefen Umkehr und des Glaubens, der Vereinigung und der Berührung mit dem Herrn erleben werden, durch das Zeugnis des Apostels Paulus.«

(Orig. ital. in O.R. 3.7.2024)

Von Paolo Ondarza