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Römisches Betlehem

  Römisches Betlehem  TED-031
09. August 2024

Am 1. Januar 2025 wird Papst Franziskus die Heilige Pforte von Santa Maria Maggiore öffnen. Die Basilika, die auf Geheiß von Papst Liberius an der Stelle errichtet wurde, an der sich im August 359 ein wundersamer Schneefall ereignete, beherbergt die Reliquien der Krippe und ist daher auch unter dem Namen »Sancta Maria ad Praesepem« bekannt. Ein Meisterwerk der mittelalterlichen Kunst sind die Krippenfiguren von Arnolfo di Cambio, die zu einer der ältesten künstlerischen Darstellungen der Geburt Christi gehören.

Ein meteorologisches Ereignis, das ein Wunder ist: Mitten im Sommer schneit es in Rom. Genauso wie es die Muttergottes Papst Liberius, dem 36. Nachfolger des heiligen Petrus, im Traum offenbart hatte. Es ist der 5. August des Jahres 359. Der Esquilin-Hügel färbt sich weiß. Die Flocken, die auf den Boden fallen, markieren das Gebiet, auf dem eine der Jungfrau Maria geweihte Kirche errichtet werden soll. Es handelt sich um die Basilika Santa Maria Maggiore, auch bekannt als »Basilica Liberiana«.

»Der ursprüngliche Bau war natürlich viel bescheidener als der heutige. Es handelte sich um eine einschiffige Basilika«, erklärt Msgr. Ivan Ricupero, Zeremonienmeister der päpstlichen Basilika Santa Maria Maggiore. »Alles andere ist im Laufe der Jahrhunderte hinzugefügt worden. Denn die Basilika wurde 432 unter Papst Sixtus III. neu gebaut. Die Mosaiken des Triumphbogens stammen aus dieser Zeit.«

Ein zweites Betlehem

Mit Sixtus III. erhielt die Basilika sofort den symbolischen Charakter eines »zweiten Betlehems«. Im Inneren der Kirche wurde ein der Geburt Jesu geweihtes Oratorium errichtet: eine originalgetreue Nachbildung der Geburtsgrotte, gebaut mit Steinen aus dem Heiligen Land. Um die Mitte des 7. Jahrhunderts, genauer gesagt im Jahr 644, traf hier das kostbare Geschenk ein, das der damalige Patriarch von Jerusalem, der heilige Sophronius, dem aus Jerusalem stammenden Papst Theodor I. machte: die Reliquie der heiligen Krippe oder »Cunabulum«.

Die kostbare Reliquie

Zu jener Zeit hatten zahlreiche persische Überfälle viele Gedenkstätten des Lebens Christi im Heiligen Land verwüstet. Der künftige Heilige, ein Mönch und Theologe, ein eifriger Verteidiger des wahren Glaubens, schenkte dem Papst fünf »Latten« aus dem Holz des Maulbeerfeigenbaums, die aus der Krippe von Betlehem stammten, zusammen mit Stoffstreifen, in die der Überlieferung nach der kleine Jesus gewickelt war. Sie werden heute in einem kostbaren, mit Silber-reliefs verzierten Reliquienschrein aus Kristall aufbewahrt. Giuseppe Valadier schuf ihn Anfang des 19. Jahrhunderts.

Er befindet sich in der Confessio, die von Pius IX. mit über 70 verschiedenen Marmorsorten verziert wurde. An Pius IX. erinnert eine überdimensionale Statue, die im Gebet kniend zum Mosaik in der Apsis aufblickt, wo die Krönung der Jungfrau Maria dargestellt ist.

Liturgische Tradition

Es ist also kein Zufall, dass die liberianische Basilika, die jahrhundertelang den Namen »Sancta Maria ad Praesepem« trug, in der Weihnachtszeit zum Ziel der Rom-Pilger wurde und von Päpsten und Herrschern mit großer Verehrung und Stiftungen bedacht wurde. »Seitdem wird in dieser Basilika die Vigilmesse am Heiligen Abend gefeiert«, fährt Msgr. Ricupero fort. »Nur wenige wissen, dass die erste Heiligabendvigil hier stattfand. Später hat sich dieser Brauch verbreitet und wurde zu einer liturgischen Tradition der katholischen Kirche in der ganzen Welt.«

Jahrhundertelang kam der Papst in der Nacht zum 24. Dezember hierher, um der Statio vorzustehen, und bis vor der Pandemie wurde die Reliquie in einer Prozession durch die Gänge getragen, während das Gloria gesungen wurde. »Letztes Jahr haben wir beschlossen, die Reliquie wieder außerhalb des Schreins an einem erhöhten Ort aufzustellen, damit sie am Heiligen Abend und bis zum Dreikönigstag verehrt werden kann.«

Das Krippenoratorium

Das antike Krippenoratorium befand sich ursprünglich im rechten Seitenschiff der Basilika. Dank eines ausgeklügelten Systems von Flaschenzügen und Winden wurde es durch den Architekten Domenico Fontana in die 1590 von Papst Sixtus V. (Peretti) nach den Vorgaben des Konzils von Trient errichtete Sakramentskapelle verlegt. Dort befindet sie sich unter dem imposanten Tabernakel aus vergoldeter Bronze.

Heilige Pilger

Umgeben von Fresken, die von den Vorfahren Christi und dem Leben der Jungfrau erzählen, ist der Renaissance-Papst auf dem ihm gewidmeten Grabmal dargestellt: im Gebet, den Blick auf den mittelalterlichen Altar des Krippenoratoriums gerichtet, wo der heilige Kajetan von Thiene in den Weihnachtsnächten 1517 und 1538 eine Vision des
Jesuskindes hatte und der heilige Ignatius von Loyola seine erste Messe feierte. »Der Gründer der Gesellschaft Jesu«, erklärt Msgr. Ivan Ricupero, »hätte diese Messe gerne in Betlehem gefeiert, konnte es aber wegen einer Reihe von Umständen nicht. Dieses Gelübde erfüllte er hier in Santa Maria Maggiore, das als das ›Betlehem Roms‹ gilt.«

Die Weihnachtskrippe

Hier stand die wohl älteste Krippenskulptur der Geschichte, die Arnolfo Di Cambio im Auftrag des ersten Papstes aus dem Franziskanerorden, Nikolaus IV., schuf, weniger als 70 Jahre nach der Inszenierung der Geburt Christi mit lebenden Personen durch den heiligen Franziskus in Greccio.

Von diesem einzigartigen Meisterwerk der mittelalterlichen Skulptur, das auch von Vasari erwähnt wird, sind mindestens fünf originale Marmorstatuen erhalten geblieben: der heilige Joseph, die Heiligen Drei Könige – zwei stehende und eine kniende Figur – sowie die Köpfe von Ochs und Esel. Hinzu kommt eine auf einem Felsen sitzende Muttergottes mit Kind, die mit etwa einem Meter Höhe größere Proportionen hat. Die Zuschreibung der nach Ansicht einiger Experten im 16. Jahrhundert stark überarbeiteten Figur an Arnolfo ist umstritten. Pigmentspuren auf dem Stein zeugen davon, dass die ursprüngliche Krippe, deren genaue Anzahl an Skulpturen nicht bekannt ist, farbig gefasst war.

Im Zeichen des Jubiläums

Wie die Hirten, die vom Engel zur Geburt des Erlösers gerufen wurden, werden im Heiligen Jahr 2025 viele Pilger in die Liberianische Basilika, das »Betlehem des Westens«, kommen. Im Gotteshaus werden ihre Blicke von unzähligen Mosaiken, Gemälden, Skulpturen sowie von kostbaren Reliquien angezogen werden.

Die Salus Populi Romani
und Matteo Ricci

Schließlich darf ein Abstecher zur Salus Populi Romani nicht fehlen, der Ikone, die der Überlieferung nach aus der Hand des heiligen Lukas, des Schutzpatrons der Maler, stammt, die aber neueren Studien zufolge in die Zeit zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert datiert wird. »Es handelt sich um ein Bild, das von den Päpsten sehr verehrt wurde und insbesondere von Papst Franziskus verehrt wird, der sich vor und nach jeder seiner Apostolischen Reisen hierher begibt«, kommentiert Msgr. Ricupero. »Die Verehrung ist unter den Jesuiten sehr weit verbreitet: Nur wenige wissen, dass Matteo Ricci, als er seine Mission in China begann, vom Papst eine kleine Kopie dieser Ikone erhielt, die er mitnahm.«

Die Untersuchungen der Reliquie

Im Mittelpunkt des Besuchs der Basilika Santa Maria Maggiore soll für den Jubiläumspilger ein kurzer Moment des Gebets vor den Reliquien der Krippe stehen, vor der »heiligen Wiege«. Jüngste wissenschaftliche Untersuchungen konnten bestätigen, dass in den Hölzern gefundene Pollen aus dem geografischen Gebiet von Bethlehem und aus der Zeit Jesu stammen. Die seit Jahrhunderten bestehende Verehrung, unter anderem durch den heiligen Hieronymus, dessen sterbliche Überreste seit dem späten Mittelalter in Santa Maria Maggiore aufbewahrt werden, erhält so von wissenschaftlicher Seite Bekräftigung. Die Untersuchungen wurden 2018 durchgeführt. Anlass sei die Entscheidung von Papst Franziskus gewesen, im November 2019 ein Fragment des verehrten Holzes der Kustodie des Heiligen Landes zu schenken, so Msgr. Ricupero.

Tür zum Geheimnis
der Menschwerdung

Der Papst wird die Heilige Pforte von Santa Maria Maggiore am 1. Januar 2025, dem Hochfest der Gottesmutter Maria, öffnen.
Msgr. Ivan Ricupero: »Bereits im Jahr 1390 gab es hier nachweislich eine Heilige Pforte, durch die die Gläubigen gehen konnten, um das Geschenk des Ablasses zu erhalten. Der Besuch dieser mit der Geburt Christi verbundenen Basilika soll Pilgern und Touristen die Möglichkeit geben, sich dem großen Geheimnis der Menschwerdung zu nähern.«

(Orig. ital. in O.R. 20.07.2024)

Von Paolo Ondarza