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Chiara Corbella – Von Gott berührte Lebenswirklichkeit

Eintauchen in den Ozean der unendlichen Liebe

 Eintauchen in den Ozean der unendlichen Liebe  TED-034
24. August 2024

Rein menschlich gesehen war ihr Leben eine von Krankheit und Tod gezeichnete Tragödie. Ihre ersten beiden Kinder sind nicht lebensfähig und sterben kurz nach der Geburt. Das dritte Kind kommt gesund auf die Welt, aber sie selbst stirbt an Krebs, als ihr Sohn gerade einmal ein Jahr und zwei Wochen alt ist. Sie selbst ist 28. Und doch erlebt sie in diesen Situationen ein Gehaltensein, ein bedingungsloses Geliebt-Sein, das sie fähig macht, ihrerseits bedingungslos zu lieben. Sie empfindet und verbreitet eine »mysteriöse Freude« in Situationen, wo man es nicht vermuten würde: Chiara Corbella.

Am 21. Juni 2024 um 12 Uhr wurde in der Lateranbasilika in Rom offiziell die diözesane Phase des Seligsprechungsprozesses der Dienerin Gottes Chiara Corbella abgeschlossen. Anwesend waren die Eltern, ihr Ehemann und ihr Sohn sowie ihre Schwester mit Familie. Es war die 68. Sitzung, der Prozess war 2018 am Gericht der Diözese Rom eröffnet worden. Zeugnisse wurden gesammelt, der Ruf der Heiligkeit geprüft. Nun verlas der Notar das Protokoll. Die Dokumente wurden versiegelt und an das zuständige Dikasterium weitergegeben.

Beim offiziellen Abschluss ging es aber nicht nur um Akten, sondern es wurde auch gesungen und gebetet. Der Stellvertreter des Kardinalvikars der Diözese Rom, Erzbischof Baldassare Reina, deutete in seinen einleitenden Worten an, dass »Chiara früh gemerkt« habe, »dass sie eine besondere Aufgabe in dieser Welt hat«. Auf Jesus zu hören und ihm zu folgen war für sie so notwendig wie die Luft zum Atmen. »Ihr Horizont war Gott.« Deshalb konnte sie auch sagen: »Wir werden geboren, um nie mehr zu sterben.« In Gott sein heißt: leben in Ewigkeit. Wie Papst Benedikt in Spe salvi sagt: »Das Leben in seiner Ganzheit ist Beziehung zu dem, der die Quelle des Lebens ist. Wenn wir mit dem in Beziehung sind, der nicht stirbt, der das Leben selber ist und die Liebe selber, dann sind wir im Leben. Dann ›leben‹ wir« (Spe salvi, 27).

Oder: »Wir können nur versuchen, aus der Zeitlichkeit, in der wir gefangen sind, herauszudenken und zu ahnen, dass Ewigkeit nicht eine immer weitergehende Abfolge von Kalendertagen ist, sondern etwas wie der erfüllte Augenblick, in dem uns das Ganze umfängt und wir das Ganze umfangen. Es wäre der Augenblick des Eintauchens in den Ozean der unendlichen Liebe, in dem es keine Zeit, kein Vor- und Nachher mehr gibt. Wir können nur versuchen zu denken, dass dieser Augenblick das Leben im vollen Sinn ist, immer neues Eintauchen in die Weite des Seins, indem wir einfach von der Freude überwältigt werden« (Spe salvi, 12).

In der Lateranbasilika wird auch Chiaras Ehemann Enrico aufgefordert, spontan einige Worte zu sagen. Er stimmt kein Loblied auf seine Frau an, sondern spricht ganz einfach darüber, was er durch seine Frau über Gott gelernt hat: Erstens: Gott ist ein glücklicher Gott, Liebe macht glücklich, Jesus stirbt glücklich: Chiara ist als Tochter Gottes glücklich gestorben. Zweitens: Gott ist »sanft und gütig«. Auf seine Frage hin habe seine Frau gesagt, dass auch ihr Kreuz ein »sanftes Kreuz« gewesen sei. Enrico hatte bereits früher erklärt, dass es niemanden helfe Chiara als »Frau ohne Ängste und mit übernatürlichen Kräften« zu beschreiben: »Einen Mythos aus ihr zu machen hilft niemanden (wir sind alle noch auf dem Weg!) und setzt zwischen uns und Gott einen Abstand, der nicht existiert (der Beweis sind die Heiligen!). Heilige sind Männer und Frauen wie wir, die herausgefunden haben, dass sie geliebt sind und einen Vater haben, für den alles möglich ist. Im Vertrauen zu Ihm haben sie verstanden, dass Angst nie die Wahrheit spricht.«

Mit neuen Augen sehen

Über sich selbst sagte Chiara Corbella Petrillo bei einem Glaubensseminar im Januar 2011 (nachzulesen auf der Internetseite: www.chiaracorbellapetrillo.org/de/): »Ich heiße Chiara und bin in einer christlichen Familie aufgewachsen, in der mir von klein auf beigebracht wurde, aus dem Glauben zu leben. Als ich fünf Jahre alt war, hat meine Mutter begonnen, die Bewegung der charismatischen Erneuerung zu besuchen und so haben auch meine Schwester und ich diesen Glaubensweg begonnen, der uns beim Aufwachsen begleitet hat. In dieser Gemeinschaft habe ich gelernt, zu beten und mich auf eine ganz einfache Weise an Jesus zu wenden, wie an einen Freund, dem ich meine Probleme und Zweifel erzählen kann. Vor allem aber habe ich gelernt, den Glauben mit den Brüdern und Schwestern der Gemeinschaft zu teilen.

Mit 18 habe ich auf einer Pilgerreise Enrico kennengelernt und wenige Monate später sind wir zusammengekommen. Wir waren fast sechs Jahre lang zusammen und der Herr hat meinen Glauben und meine Werte in dieser Zeit sehr auf die Probe gestellt. Nach vier Jahren ging unsere Beziehung den Bach hinunter und wir haben Schluss gemacht. In diesem schwierigen Moment – in dem ich mit Gott auf dem Kriegsfuß stand, da ich überzeugt war, er höre nicht auf meine Gebete – habe ich an einem Berufungsseminar in Assisi teilgenommen. Dort habe ich die Kraft wiedergefunden, an Ihn zu glauben. Ich habe versucht, mich mit Enrico wieder zu sehen und wir haben begonnen, uns von einem Seelsorger helfen zu lassen. Unsere Beziehung hat allerdings nicht funktioniert, bis ich verstanden habe, dass mir der Herr nichts wegnimmt, sondern mir alles schenkt und dass nur Er wusste, mit wem ich mein Leben teilen sollte… Und ich hatte vielleicht noch gar nichts verstanden! Endlich frei von den Erwartungen, die ich mir selbst erschaffen hatte, konnte ich nun
mit neuen Augen sehen, was Gott für mich wollte.

Kurz danach haben wir unsere Ängste überwunden und – gegen alle Erwartungen – beschlossen zu heiraten! In unserer Ehe hat der Herr uns ganz besondere Kinder schenken wollen: Maria Grazia Letizia und Davide Giovanni. Aber er hat uns gebeten, sie nur bis zur Geburt zu begleiten. Er hat sie uns umarmen und taufen lassen und dann haben wir sie in Seine Hände übergeben, all das in einer atemberaubenden Gelassenheit und Freude.

Jetzt hat Er uns ein drittes Kind anvertraut, Francesco, dem es gut geht und der bald geboren wird. Aber Er will von uns, dass wir ihm weiter vertrauen, trotz des Tumors, der vor ein paar Monaten bei mir entdeckt worden ist und der versucht, uns Angst vor der Zukunft einzuflößen. Wir aber glauben weiterhin an Gott, der auch dieses Mal Großes tun wird.«

So weit Chiaras Worte. Ihre letzten Tage verlebt sie in einem Haus ihrer Familie in der Nähe von Rom. Gestärkt durch die Sakramente, die Pater Vito, ihr geistlicher Begleiter aus dem Franziskanerorden, ihnen täglich spendet, der diese intensive Zeit bei ihnen verbringt. Sie fühlen sich in Gottes Treue geborgen, immer begleitet von dieser »mysteriösen Freude«.

Chiaras Leben ist durchdrungen von einer unglaublichen Hoffnung. Sie scheint gelebt zu haben, was Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Spe salvi geschrieben hat. Zum Beispiel, wenn er »Tun und Leiden als Lernorte der Hoffnung« bezeichnet:

»Nur die große Hoffnungsgewissheit, dass trotz allen Scheiterns mein eigenes Leben und die Geschichte im Ganzen in einer unzerstörbaren Macht der Liebe geborgen ist und von ihr her, für sie Sinn und Bedeutung hat, kann dann noch Mut zum Wirken und zum Weitergehen schenken. Gewiss, wir können das Reich Gottes nicht selber ›bauen‹ – was wir bauen, bleibt immer Menschenreich mit allen Begrenzungen, die im menschlichen Wesen liegen. Das Reich Got-tes ist Geschenk, und eben darum ist es groß und schön und Antwort auf Hoffnung. Und wir können – um in der klassischen Terminologie zu sprechen – den Himmel nicht durch unsere Werke ›verdienen‹. Er ist immer mehr, als was wir verdienen, sowie das Geliebtwerden nie ›Verdienst‹, sondern immer Geschenk ist. Aber bei allem Wissen um diesen ›Mehrwert‹ des Himmels bleibt doch auch wahr, dass unser Tun nicht gleichgültig ist vor Gott und daher nicht gleichgültig für den Gang der Geschichte. Wir können uns und die Welt öffnen für das Hereintreten Gottes: der Wahrheit, der Liebe, des Guten. Das ist es, was die Heiligen taten, die als ›Mitarbeiter Gottes‹ zum Heil der Welt beigetragen haben (vgl. 1 Kor 3, 9; 1 Thess 3, 2).«

Geliebte Kinder des Vaters

Die schwierige Verlobungszeit lässt Chiara verstehen, dass Liebe das Gegenteil von Besitzen ist, im Einklang mit den Worten aus Spe salvi: »Und endlich ist auch das Ja zur Liebe Quell von Leid, denn Liebe verlangt immer wieder Selbstenteignungen, in denen ich mich beschneiden und verwunden lasse; sie kann gar nicht ohne dieses auch schmerzliche Aufgeben meiner selbst bestehen; sonst wird sie zu reinem Egoismus und hebt sich damit als Liebe selber auf« (38).

Was Chiara gelebt hat, spricht auch heute noch viele Menschen an. Davon geben die zahlreichen Besucher ihres Grabes auf dem römischen Friedhof »Campo Verano« Zeugnis. Auch auf der erwähnten Internetseite wenden sich viele an sie »als eine gute Freundin«, die ihnen gerade in schweren Zeiten Licht und Liebe vermittelt durch das Bewusstsein, geliebte Kinder des Vaters zu sein. »Leben und sich lieben lassen… Geboren, um nie mehr zu sterben…«

Zum Weiterlesen: Simone Troisi und Cristiana Paccini, Chiara Corbella – Geboren, um nie mehr zu sterben, CanisiEdition, ISBN 978-3-906073-27-9, 198 S., 17 Euro.