»Evangelisierung geschieht, wenn wir den Mut haben, das Gefäß, in dem sich das duftende Öl befindet, zu ›zerbrechen‹«, hat der Papst in seiner Ansprache bei der Begegnung mit den Bischöfen, Priestern, Gottgeweihten, Seminaristen und Katecheten in der Kathedrale von Dili gesagt.
Der Papst bezieht sich dabei auf das Evangelium von Maria, die das Alabastergefäß zerbricht, um die Füße Jesu zu salben. Es ist eine Szene, die mit ihrem sensorischen Aspekt Bergoglio sehr am Herzen liegt, denn schon oft hat er in seiner bilderreichen Sprache auf diese »olfaktorische« Dimension des Duftes oder Geruchs hingewiesen. Aber im selben Satz gibt es ein weiteres beeindruckendes Bild: »die ›Schale‹ zu zerbrechen, die uns oft in uns selbst verschließt, und herauszutreten aus einer faulen, bequemen Religiosität, die nur für den persönlichen Bedarf gelebt wird«. Auf die Versuchung zu einer bequemen und selbstzentrierten Faulheit antwortet der Papst mit den Worten, die Rosa in ihrem Zeugnis verwendet hat: »eine Kirche in Bewegung, eine Kirche, die nicht stillsteht, die nicht um sich selbst kreist, sondern von der Leidenschaft verzehrt wird, allen die Freude des Evangeliums zu bringen«. Die Worte von Rosa untermauern die Vision des Papstes von einer »Kirche im Aufbruch«, ein Bild, das der Papst seit über elf Jahren den Gläubigen vor Augen stellt. Daher ist es notwendig, ja dringend notwendig, Kraft zu haben, um die Schale zu zerbrechen. Wie das Nest und die Höhle ist die Schale ein warmes, gastfreundliches, lebendiges Bild, die sich aber in ihr Gegenteil verkehren und damit kalt, zurückweisend, tödlich werden kann.
Die Geste des Zerbrechens der Schale erinnert an ein weiteres ebenso exotisches wie eindrückliches Bild, und zwar an den Hummer. Dieses Tier, das jeder wegen seiner monströsen Form kennt und wegen der Köstlichkeit seines Fleisches schätzt, hat einen sehr interessanten Lebenszyklus. Der Hummer wird nämlich nackt geboren, der »Panzer«, der ihn umhüllt, entsteht erst später. Der Panzer oder die Schale ist ein Exoskelett, eine stabile äußere Struktur, die das Weichtier schützt, aber auch einsperrt und schließlich quält. Denn irgendwann wird die Schale zu eng und erdrückend und der Hummer muss sich von ihr befreien. Er muss »die Schale aufbrechen« und wieder zu einem nackten, verletzlichen Weichtier werden, bis sich eine neue »Struktur« gebildet hat. Nur so, nach diesem Übergang, dieser Rückkehr zur ursprünglichen zerbrechlichen Nacktheit, kann der Hummer weiterleben. Dies geschieht nicht nur einmal, sondern wiederholt sich im Leben des Tieres immer wieder: Der Hummer »stirbt und wird neu geboren« und wird so zu einem der langlebigsten Lebewesen der Erde: er kann bis zu 130 Jahre alt werden. Es gibt einen interessanten Aufsatz von Professor Stefano De Matteis, der sich mit diesem Thema befasst und den Titel »Das Dilemma des Hummers« trägt, mit einem noch interessanteren Untertitel: »Die Stärke der Verletzlichkeit«: Es gibt einen Moment, in dem sich der Hummer nackt, wehrlos und hilflos fühlt, wenn er von der alten, nun zerbrochenen Schale in die neue wechselt, aber genau dieser Moment kennzeichnet seine zähe Vitalität, seine Stärke, »denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark« (2 Kor 12,10).
Seit den Anfängen ihrer Geschichte, eigentlich seit dem Evangelium, hat die Kirche viele Bilder entwickelt, um ihr eigenes Geheimnis auszudrücken, verständlich zu machen und so sich selbst dessen bewusst zu werden. Der Ausdruck des Papstes – »die Schale zerbrechen« – erlaubt uns heute, ein weiteres Bild hinzuzufügen, nämlich das des Hummers. Auch die Kirche muss auf ihrer Reise durch das stürmische Meer der Welt loslassen, zu ihrer ursprünglichen Nacktheit zurückkehren, ihren schweren defensiven Überbau abschütteln und sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren, wohl wissend, dass, wie der Papst bereits wiederholt gesagt hat, im Zentrum der Kirche nicht die Kirche selbst steht. Dies hat er in Dili erneut bekräftigt, als er von Osttimor als einem Land »an den Grenzen der Erde« sprach: »Ich komme auch von den Grenzen der Erde, aber ihr noch mehr als ich! Und so möchte ich gern sagen, gerade, weil es am Rande der Welt liegt, befindet es sich im Zentrum des Evangeliums! Das ist ein Paradox, das wir lernen müssen: im Evangelium sind die Ränder das Zentrum und eine Kirche, die nicht fähig ist, an die Ränder zu gehen und sich im Zentrum versteckt, ist eine sehr kranke Kirche. Wenn eine Kirche hingegen nach draußen schaut, Missionare schickt, begibt sie sich an diese Grenzen, die das Zentrum sind, das Zentrum der Kirche. Danke, dass ihr an den Grenzen seid. Denn wir wissen gut, dass im Herzen Christi die Peripherien einen zentralen Platz einnehmen: Das Evangelium ist voll von Personen, Figuren und Geschichten, die sich an den Rändern, an den Grenzen befinden, die aber von Jesus gerufen werden und zu Protagonisten jener Hoffnung werden, die er uns bringt.«
Das sagte der Papst am 10. September in Dili zu den in festlicher Stimmung versammelten Gläubigen, und so hat die Kirche in den vergangenen zweitausend Jahren immer gesprochen, vor allem in Krisenzeiten, und ist dabei alle Risiken eingegangen, die mit diesem Prozess der Entwaffnung und des Loslassens verbunden sind. Und gerade deshalb ist sie so langlebig: Sie verändert kontinuierlich ihre äußere Gestalt, während gleichzeitig ihr Herz unversehrt bleibt, jenes süße und duftende Fleisch, das in ihrem Innersten verborgen und bewahrt wird: das Fleisch Christi und seines Evangeliums. In diesem Bild steckt die ganze Herausforderung, der sich die von Papst Franziskus geleitete Kirche in diesen Jahren stellen muss, wobei beide von der Leidenschaft verzehrt werden, »allen die Freude des Evangeliums zu bringen«.
(Orig. ital. in O.R. 10.9.2024)
Von Andrea Monda