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Der ehemalige israelische Ministerpräsident Ehud Olmert und der ehemalige palästinensische Außenminister Nasser al-Qudwa beim Papst

Möglicher Dialog für den Frieden

 Möglicher Dialog für den Frieden   TED-043
25. Oktober 2024

»Es war eine wichtige und ergreifende Begegnung. Der Heilige Vater zeigte außerordentliches Interesse für die Friedensbemühungen im Nahen Osten«, so Ehud Olmert, der gemeinsam mit dem ehemaligen Außenminister des palästinensischen Staates Nasser al-Qudwa und einer Delegation von Friedensaktivisten bei Papst Franziskus war. Der 78-jährige Olmert, Ministerpräsident bis 2009, hat bei den Friedensverhandlungen im Nahen Osten bereits wichtige Erfolge zu verbuchen: In seiner Amtszeit wurde 2006 ein Waffenstillstand im Libanonkrieg unterzeichnet, und ihm ist der letzte wirkliche Versuch einer Zweistaatenlösung mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas zu verdanken. Über das als Weiterentwicklung der Osloer Verträge von 1993 gedachte Projekt wurde letztlich allerdings keine Einigung erzielt. »Papst Franziskus hat uns mehr als eine halbe Stunde lang außerordentliche Aufmerksamkeit geschenkt und uns zu verstehen gegeben, dass er täglich jede Entwicklung des Konflikts verfolgt und jeden Tag mit den Christen in Gaza in Verbindung steht.«

Der ehemalige palästinensische Minister al-Qudwa, der in Palästina nicht nur für seine friedensfreundlichen Positionen bekannt ist, sondern auch dafür, der Neffe des historischen PLO-Führers Jassir Arafat zu sein, erklärte: »Wir haben dem Heiligen Vater unseren Friedensvorschlag für den Gazastreifen vorgelegt, der einen sofortigen Waffenstillstand vorsieht sowie die Freilassung der noch immer von der Hamas festgehaltenen israelischen Geiseln und die gleichzeitige Freilassung einer vereinbarten Anzahl palästinensischer Gefangener in israelischen Gefängnissen und darüber hinaus die Wiederaufnahme von Verhandlungen über die Anerkennung zweier unabhängiger Staaten, die in Frieden miteinander leben.«

Herr Olmert, wie können heute zwei Staaten entstehen, wenn es immer mehr illegale Siedlungen israelischer Siedler gibt?

Wir stellen uns die Angliederung eines zu vereinbarenden Teils des palästinensischen Westjordanlands durch Israel vor, der 4,4 Prozent des Westjordanlands entspricht, im Austausch für ein Gebiet gleicher Größe, das heute innerhalb der Grenzen Israels liegt. Ein derartiges, den Palästinensern zu überlassendes Gebiet, würde einen Korridor zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen ermöglichen.

Herr al-Qudwa, welche Lösung sehen Sie für Gaza?

Israel muss sein Militär vollständig aus dem Gaza-Streifen abziehen und die Schaffung einer palästinensischen Institution zulassen, die das Gebiet verwaltet. Als provisorische Übergangslösung stellen wir uns einen Rat von Kommissaren vor, der sich aus anerkannten Technokraten und Fachleuten und nicht aus politischen Vertretern zusammensetzt. Dieser Rat sollte mit dem Ministerrat der Palästinensischen Autonomiebehörde verbunden sein, der schließlich innerhalb von 24 bis 36 Monaten allgemeine Wahlen in den palästinensischen Gebieten vorbereiten sollte.

Herr Olmert, würde diese Demonstration guten Willens auf beiden Seiten Ihrer Meinung nach ausreichen, um eine sofortige Befriedung zu garantieren?

Nein. Wir sind auch der Meinung, dass eine »zeitweilige arabische Sicherheitspräsenz« (Temporary Arab Security Presence, TASP) im Gazastreifen stationiert werden muss, die gleichzeitig mit dem Abzug der israelischen Verteidigungskräfte (IDF) die Lage stabilisieren könnte. Diese arabische Eingreiftruppe sollte mit den Sicherheitskräften der Palästinensischen Autonomiebehörde (PNA) in Verbindung stehen und vom Rat der Kommissare angeleitet werden. Ihre Hauptaufgabe sollte darin bestehen, weitere mögliche Angriffe auf Israel aus dem Gazastreifen zu verhindern.

Herr al-Qudwa, wie könnte die Zweistaatenlösung eine friedliche Zukunft garantieren?

Durch die Verpflichtung des Staates Palästina, ein nicht-militarisierter Staat zu sein, mit Ausnahme seiner internen polizeilichen Notwendigkeiten.

Damit würde, Herr Olmert, das zentrale Problem offenbleiben: der Status von Jerusalem.

Dies ist der Punkt, der Papst Franziskus bei unserem heutigen Treffen am meisten interessiert hat. Wir denken an einen Sonderstatus für Jerusalem, der von einer Treuhandschaft von fünf Staaten (darunter natürlich Israel und Palästina) verwaltet werden sollte, die gemäß den vom UN-Sicherheitsrat wiederholt genannten Regeln volle Autorität über jeden Teil der Stadt hätte. Dabei würde dem Königreich Jordanien eine besondere Rolle zukommen, wie es bereits heute für den Tempelberg der Fall ist. Wir sind auf jeden Fall der Meinung, dass die Altstadt der politischen Kontrolle entzogen werden sollte und den drei monotheistischen Religionen gewidmet sein sollte, die sie als heilige Gebetsstätte betrachten.

Und was ist mit den Ansprüchen beider Seiten, Jerusalem zur Hauptstadt ihres Staates zu machen?

Olmert: Jerusalem kann in jenen Teilen Hauptstadt Israels sein, die bereits vor dem 5. Juni 1967 zu Israel gehörten, zusätzlich zu den jüdischen Vierteln, die nach 1967 gebaut wurden und die unter die 4,4 Prozent fallen, die ich oben erwähnt habe.

Al-Qudwa: Und »Al-Quds«, die Hauptstadt Palästinas, würde alle arabischen Stadtteile umfassen, die vor dem Krieg von 1967 nicht zu Israel gehörten.

Eine letzte Frage, Herr Olmert: Dieser gut formulierte Plan läuft Gefahr, Wunschdenken zu bleiben. Er steht völlig im Widerspruch zu den Absichten der derzeitigen israelischen Regierung.

Diejenigen, die mich kennen, wissen, was ich von der von Netanjahu geführten Regierung halte, die dem extremistischen Fanatismus von Ben Gvir und Smotrich untergeordnet ist. Aber mich tröstet die Tatsache, dass 70 Prozent der Israelis dieser Koalition überdrüssig sind, des enormen Schadens, den sie Israel zugefügt hat und weiterhin zufügt. Israel ist eine starke Demokratie und wird diese Regierung auf demokratische Weise überwinden.

Mit welchen Alternativen?

Die Zivilgesellschaft, die seit zwei Jahren massiv gegen Netanjahu demonstriert, wird eine neue Form der Führung finden, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Denn, ich wiederhole, Israel ist ein demokratisch lebendiges und solides Land.

(Vatican News/Orig. ital. in O.R. 17.10.2024)

Von Roberto Cetera