Reliquien und Kunstschätze im Petersdom

Ein unermessliches spirituelles und künstlerisches Erbe

 Ein unermessliches spirituelles und künstlerisches Erbe  TED-045
08. November 2024

Das Schweißtuch der Veronika, das Holz vom Kreuz Christi, die Heilige Lanze des Longinus, das Haupt des heiligen Andreas: es sind bedeutende Reliquien, die seit dem Mittelalter in der Vatikanbasilika verehrt wurden. Sie werden in einem der Vierungspfeiler aufbewahrt, die die Kuppel des Petersdoms stützen – mit Ausnahme der Reliquie des heiligen Andreas, die Papst Paul VI. dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras I. geschenkt hat. Die vier kürzlich restaurierten Mosaiken der vier kleinen Kapellen am unteren Ende der Vierungspfeiler in den Vatikanischen Grotten und die großen Statuen in den Nischen verweisen auf diese Reliquien.

Seit dem ersten Jubiläum im Jahr 1300 übt es eine enorme Anziehungskraft auf Pilger aus allen Teilen der Welt aus und im Westen ist es als das wichtigste Christusbild anerkannt: Gemeint ist die Reliquie des Heiligen Antlitzes, besser bekannt als Schweißtuch der Veronika: Der Überlieferung nach ist es das Tuch, mit dem eine fromme Frau das blutige Antlitz Jesu während des Kreuzwegs abwischte. Dieses soll auf wundersame Weise auf dem Tuch eingeprägt geblieben sein.

Die Ausstellung des Heiligen Antlitzes

Die ersten Zeugnisse für die Anwesenheit der Reliquie im Petersdom reichen in das 8. Jahrhundert zurück. Sie wird heute noch an jedem fünften Sonntag der Fastenzeit ausgestellt. Früher geschah dies häufiger und insbesondere aus Anlass der Heiligen Jahre, wichtiger Ereignisse im Leben der Kirche oder auch zur Bewahrung vor Katastrophen wie Erdbeben, Pest und Hungersnot.

Die vier wichtigsten Reliquien

In der antiken Konstantinsbasilika wurde das Schweißtuch der Veronika in einem Ziborium aufbewahrt. Dasselbe galt für die anderen drei Reliquien der Vatikanbasilika: die Heilige Lanze des Longinus, das Kreuzesholz und das Haupt des heiligen Andreas.

Die Heilige Lanze

Die Heilige Lanze ist die Spitze jener Lanze, mit der der römische Hauptmann die Seite Christi durchbohrte. Sie wurde in der Schatzkammer von Konstantinopel aufbewahrt und Papst Innozenz VIII. Cybo im Jahr 1492 von Sultan Bayezid, dem Sohn von Mehmed II., geschenkt, als Dank dafür, dass er seinen Bruder Cem, der ihm dem Thron streitig machen wollte, in Rom als wertvolle Geisel festhielt. Einerseits hielt der Papst so Bayezid seinen Bruder vom Hals, aber Cem war auch für die politischen Pläne Innozenz VIII. von Nutzen, da dieser damit drohte, ihn freizulassen, sollte Bayezid einen Feldzug gegen die christlichen Balkanstaaten planen. Die Heilige Lanze wird noch heute in der zweiten Woche der Fastenzeit zur Verehrung der Gläubigen ausgestellt.

Die Kreuzreliquie

Die Reliquie eines Fragments vom Holz des Kreuzes, das von Helena, der Mutter Kaiser Konstantins, in Palästina gefunden wurde, wird seit Jahrhunderten zusammen mit den Nägeln der Kreuzigung im Vatikan aufbewahrt.

Das Haupt des heiligen Andreas

Schließlich das Haupt des heiligen Andreas, des Bruders des heiligen Petrus: Es kam 1462, nach der türkischen Invasion des Peloponnes, auf Geheiß von Pius II. Piccolomini durch Thomas Palaiologos, letzter Despot von Morea, nach Rom. Die Reliquie wurde zunächst in der Engelsburg aufbewahrt und dann in die Vatikanbasilika gebracht, wo sie bis 1966 blieb, als Paul VI. sie dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Athenagoras I., schenkte, der sie der Stadt Patras übergab, wo der heilige Andreas starb.

Die Statuen in den Vierungspfeilern

Nach dem Bau der neuen Basilika wurden die vier Reliquien in den Pfeilern untergebracht, die das Gewicht der Kuppel von Michelangelo tragen. Für diesen Zweck verlieh Gian Lorenzo Bernini im Auftrag von Papst Urban VIII. den Pfeilern ihre heutige Gestalt. In den Nischen befinden sich fast fünf Meter hohe Statuen der vier Heiligen: Veronika, Helena, Andreas und Longinus. Nur Longinus ist das Werk Berninis, des berühmten Bildhauers aus dem 17. Jahrhundert, der auch die Kolonnaden auf dem Petersplatz geschaffen hat. Die anderen drei Skulpturen stammen von Francesco Mochi (Veronika), Andrea Bolgi (Helena) und François Dusques-noy (Andreas).

Auf dem Weg zu den Gläubigen

Über den großen Marmorskulpturen sind vier Loggien zu sehen. Über der Statue der Veronika befindet sich die Kapelle, in der die Reliquien aufbewahrt werden. Auf dem Balkon davor wurde das Heilige Antlitz gezeigt. In früheren Zeiten war dies ein echtes Ereignis: Die Basilika füllte sich mit so vielen Gläubigen, dass ein Ordnungsdienst vorgesehen war, um die Menschenmassen zu bändigen und zu kontrollieren. Einige versuchten sogar hinaufzusteigen, um das Grabtuch Jesu aus der Nähe zu sehen: ein unmöglicher Wunsch, der nur dem Papst erfüllt wurde. Die Geste der heiligen Veronika scheint auf die Sehnsucht der vielen Pilger zu antworten, die im Laufe der Jahrhunderte zum Gebet in den Petersdom gekommen sind: Mochi stellt die Statue in Bewegung dar, mit ihrem im Wind flatternden Gewand, als wäre sie bereit, vom Sockel zu springen, um den Gläubigen das auf dem Tuch abgebildete Antlitz Christi aus der Nähe zu zeigen.

Die vier kleinen Kapellen
am Fuß der Pfeiler

Wir nähern uns und sehen, dass vor dem Pfeiler eine enge, aber elegante Wendeltreppe nach unten führt. Über sie erreicht man eine Kapelle in den sogenannten Vatikanischen Grotten, die dem Heiligen Antlitz gewidmet ist und ebenfalls von Bernini geschaffen wurde. Der Bildhauer ist in einem ovalen Fresko auf dem Gewölbe verewigt, wo er Urban VIII. den Entwurf für die Neugestaltung der Vierungspfeiler zeigt.

Schönheit, die dem Zahn
der Zeit widersteht

Alle vier Kapellen am unteren Ende der Pfeiler sind zwar über eine Treppe aus dem Petersdom erreichbar, aber Besucher können nur die Andreas-Kapelle sehen, weil der offizielle Weg in die Grotten über diese Treppe führt. Die anderen Kapellen sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. In allen Kapellen befindet sich über den Altären ein Mosaik. Die Mosaiken wurden kürzlich von der Vatikanischen Mosaikwerkstatt restauriert, um sie gegen die in diesem unterirdischen Bereich herrschende Feuchtigkeit zu schützen.

Schon fast 350 Jahre sind vergangen seit Fabio Cristofari die Gemälde von Andrea Sacchi aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts durch Mosaike ersetzt hat – das Unternehmen begann im Sommer 1682. Und doch haben die bunten Steinchen aus Glas und Marmor ihren originalen Glanz unverändert erhalten.

Themen der Gemälde

Die Themen der 1,20 mal 2 Meter großen Gemälde von Sacchi sind von den vier Reliquien inspiriert und zeigen: »Christus, der das Kreuz trägt, und die heilige Veronika«, »Der heilige Andreas betet das Kreuz seines Martyriums an«, »Martyrium des heiligen Longinus« und »Die heilige Helena und das Wunder des wahren Kreuzes«. Sie waren für die von Urban VIII. in Auftrag gegebenen kleinen Kapellen in den vatikanischen Grotten bestimmt, die auf Geheiß desselben Paps-tes dann von Bernini durch Erweiterungen und Öffnungen umgestaltet wurden, um das schlechte Klima in den unterirdischen Räumen zu verbessern. Seine Veränderungen sollten die Belüftung, Luftzirkulation und den Lichteinfall begünstigen.

Häufiger Ortswechsel der Bilder

Die Gemälde von Sacchi blieben etwa 30 Jahre in der Basilika. Anschließend wurden sie an verschiedene Orte gebracht, von der »Sala del Concistoro« im Vatikan in den Quirinalspalast, dann in den Päpstlichen Palast in Castel Gandolfo, in das Museum des Petersdoms, bis sie schließlich im Kapitelsaal des Petersdoms ihren Platz fanden, wo sich heute noch die Kanoniker des Petersdoms versammeln.

Malerei mit Mosaiksteinen

Der Vergleich zwischen den Gemälden und den Mosaiken ist aufschlussreich: Sie haben die identische Größe und sind deckungsgleich im typisch nachtridentinischen figurativen Schema mit seiner ikonographischen Klarheit, seiner Emotionalität und seinem mystischen Pathos. Paolo Di Buono, der Leiter der Vatikanischen Mosaikwerkstätten, erklärt: »In diesen Mosaiken sind die Farben der Figuren und Naturszenen noch sehr kräftig, während sie in den Gemälden verblasst sind. Aus dem Vergleich wird deutlich, warum die Umsetzung in Mosaik durchgeführt wurde. Eine große Schwierigkeit bei diesem Schritt war die Darstellung des Inkarnats, der Hautfarbe. Cristofari verwendete fleischfarbenes Steinmaterial, Marmor. Seine Gemälde bestehen zu 70 bis 80 Prozent aus Glaspaste, das heißt Mosaiksteine aus Glas«, die in der sogenannten römischen Technik – mit Hammer und Dorn – hergestellten wurden.

Für einige der feineren Details wie die Lippen des heiligen Longinus oder das Blumenmuster des Gewandes der heiligen Helena wurde die Technik des gesponnenen Glases verwendet, die zu dieser Zeit wenig verbreitet war und wahrscheinlich Anfang des 17. Jahrhunderts im Vatikan entstand. Im 18. Jahrhundert kam diese Technik des Mikromosaiks in Mode, vor allem bei den Reisenden aus dem Ausland, die von ihrer Grand Tour eine Reproduktion der in Italien besuchten Wunderwerke als Andenken mit nach Hause nehmen wollten.

Die Geschichte der Mosaiken
im Petersdom

Die vier Altarbilder aus Mosaik in den vatikanischen Grotten sind für die Geschichte der Dombauhütte von besonderer Bedeutung. Paolo Di Buono erklärt: »In technischer Hinsicht stellen sie ein Bindeglied zwischen dem ersten Versuch, die Gemälde der Vatikanbasilika in Mosaik umzusetzen, der Anfang des 16. Jahrhunderts von Giovanni Calandra unternommen wurde, und der späteren Herstellung von Reproduktionen der großen, vier mal sieben Meter messenden Altargemälde dar, die wir heute im Petersdom sehen.«

Allerdings stellten die Mosaiken in den unterirdischen Kapellen aufgrund eines weiteren, nicht zu unterschätzenden Aspekts, eine Herausforderung dar. »Es handelt sich um nicht besonders große Werke, die man zudem noch aus der Nähe sehen konnte. So war die Textur genau zu erkennen, was den gleichsam malerischen Aspekt eines aus großem Abstand gesehenen Mosaiks abschwächte.« Cristofari arbeitete mit kleinen quadratischen Steinen, zwischen 1 und 1,5 cm Seitenlänge, die geeignet waren, die Farbtöne entsprechend zu mischen. »Diese Werke waren wegweisend. Ohne diese von Cristofari gesammelten Erfahrungen wäre es sehr viel schwieriger gewesen, im 18. Jahrhundert die Mosaike der großen Gemälde der Basilika in Angriff zu nehmen.«

Tradition und Erneuerung

Alte Dokumente, die in den Archiven der Dombauhütte aufbewahrt werden, erzählen die Geschichte des faszinierenden Handwerks der vatikanischen Mosaizisten. Eine Tradition, die im 16. Jahrhundert begann, als die Basilika unter Gregor XIII. zur größten Mosaikwerkstatt in Europa wurde. Das Wissen und die künstlerische Praxis einer zeitlosen Technik wurden in den offiziell 1727 von Benedikt XIII. gegründeten vatikanischen Mosaikwerkstätten von Generation zu Generation weitergegeben.

Paolo Di Buono: »Die Werkstatt hat eine zweifache Funktion: einerseits die Weitergabe der alten Techniken der Mosaikherstellung und andererseits die Weiterentwicklung der modernsten Restaurierungstechniken im Kontakt mit anderen internationalen Einrichtungen. Es handelt sich um zwei unterschiedliche, aber eng miteinander verbundene Tätigkeiten.«

Instandhaltung und Restaurierung

Mosaizisten und Restauratoren: Die mittlerweile zwölf Mitarbeiter hatten sich in den letzten Jahren hauptsächlich der Herstellung von Werken für den Verkauf gewidmet. »Die derzeitigen Arbeiten in den Kapellen der vatikanischen Grotten wurden von Kardinal Mauro Gambetti nachdrücklich gewünscht, der unter anderem Präsident der Dombauhütte von St. Peter ist. Und diese Arbeiten bringen die Werkstatt zu ihrer Hauptaufgabe zurück: der Instandhaltung und Restaurierung der Mosaiken der Basilika. Unser Ziel ist eine regelmäßige, systematische Planung dieser Tätigkeit.«

Die Etappen der Restaurierung

Aber wie lief die Restaurierung ab? Die Arbeit an einem einzigen Objekt dauert etwa 20 Tage. Nichts wird dem Zufall überlassen, und jede Entscheidung wird vom Expertenteam und den Verantwortlichen der Dombauhütte mitgetragen. Der erste Schritt ist eine detaillierte Fotokampagne, um den Erhaltungszustand zu dokumentieren. Danach folgt das Entstauben, das heißt die Entfernung des Staubs von der Mosaikoberfläche, dem Rahmen aus sizilianischem Jaspis und dem gesamten Umfeld des Mosaiks. Anschließend wird der Zustand des Werks kartiert, um festzustellen, an welchen Stellen ein Eingriff notwendig ist. Dies bedeutet, dass eventuelle Ablösungen von Mosaiksteinen oder das Vorhandensein früherer Restaurierungen in einer genauen Kartierung erfasst werden.

»Die Bilder sind in einem sehr guten Erhaltungszustand«, unterstreicht der Verantwortliche der Vatikanischen Mosaikwerkstatt. »Es wurden keine nennenswerten Ablösungen oder Brüche festgestellt. Wir haben die Oberfläche vorsichtig mit in Ammoniumbicarbonat getränkten Zellstoffkompressen gereinigt, um Schmutz zu entfernen, ohne die speziell auf das Mosaik aufgetragenen Wachse anzugreifen. Wenige Farbveränderungen wurden bei kleinen Partien aus Naturstein und aus Emaille festgestellt. Bei den fleischfarbenen Mosaiksteinen wurden die stärksten Farbveränderungen festgestellt, die jedoch nicht gravierend waren.« Diese Veränderung hin zu dunkleren Farbtönen ist auf die Oxidation bestimmter Materialien, wie Blei, zurückzuführen. »Wir haben dies bei den großen Altarbildern der Basilika festgestellt, insbesondere bei den roten und rosafarbenen Mosaiksteinen. Dabei handelt es sich um Veränderungen in der Oberflächenpatina, die wir in der Regel lieber nicht entfernen.«

Reinigung und Retuschierung

»An einigen Stellen«, so Paolo Di Buono, »war das farbige Wachs zwischen den einzelnen Mosaiksteinen abgefallen. In den Zwischenräumen war ein heller Mörtel zum Vorschein gekommen, der die chromatische Einheitlichkeit störte, vor allem dort, wo die Farbe dunkler ist. Nach der Reinigung mit demineralisiertem Wasser haben wir mit sehr kleinen Aquarellkorrekturen eingegriffen, eine absolut reversible Technik. Die letzte Operation bestand in der chromatischen Zurücknahme der Farbe in den Fugen zwischen den Mosaiksteinen.«

Kunst aus der Nähe

Während der Restaurierung entsteht ein enger Kontakt zu den zeitlosen Meisterwerken, was nicht nur emotional beeindruckend ist, sondern auch das Erkennen von sonst nicht sichtbaren Details ermöglicht, wie zum Beispiel die Tatsache, dass in allen vier Mosaiken die Lünette oben und der untere Teil des Bildes durch eine horizontale Linie deutlich voneinander getrennt sind. »Diese Linie sichtbar zu lassen«, erklärt Di Buono, »bedeutete für den Mosaizisten, denjenigen einen Hinweis zu geben, die nach ihm mit der Entfernung und der Zusammensetzung des Werks betraut würden.« Man könnte sie als eine Art Montageanleitung bezeichnen, die sicherstellen sollte, dass diese Meisterwerke nicht zerstört werden, wenn sie abgenommen, das heißt von der Wand gelöst werden.

Ein Erbe der Kunst und des Glaubens

»Diese wichtige Restaurierung«, so Paolo Di Buono abschließend, »zielt nicht nur auf die einzelnen Mosaikarbeiten, sondern auf die Kapellen als Ganze.« Heute sind sie als unermessliches spirituelles und kunsthistorisches Erbe leider dem Blick der Öffentlichkeit entzogen. Die einzige Ausnahme ist die Andreaskapelle, an der die Pilger auf ihrem Weg von der Basilika zu den Vatikanischen Grotten vorbeikommen, meist ohne sie zu beachten. »Es wäre vorstellbar, sie alle bei besonderen Anlässen öffentlich zugänglich zu machen, wobei der Aspekt der Beleuchtung zu berücksichtigen wäre.«

Von Paolo Ondarza