Generalaudienz auf dem Petersplatz am 13. November

Maria steht in einzigartiger Beziehung zur Dreifaltigkeit

 Maria steht in einzigartiger Beziehung zur Dreifaltigkeit  TED-047
22. November 2024

Liebe Brüder und Schwestern,

guten Tag!

Unter den verschiedenen Mitteln, mit denen der Heilige Geist sein heiligmachendes Wirken in der Kirche vollbringt – Wort Got-tes, Sakramente, Gebet – gibt es ein ganz besonderes, und zwar die Marienfrömmigkeit. In der katholischen Überlieferung gibt es dieses Motto, diesen Spruch: »Ad Iesum per Mariam«, also »zu Jesus durch Maria«. Die Got-tesmutter lässt uns Jesus sehen. Sie öffnet uns die Türen, immer! Die Gottesmutter ist die Mutter, die uns an der Hand zu Jesus führt. Nie verweist die Gottesmutter auf sich selbst, die Gottesmutter verweist auf Jesus. Und das ist die Marienfrömmigkeit: zu Jesus durch die Hände der Gottesmutter.

Urbild der Kirche

Der heilige Paulus bezeichnet die christliche Gemeinde als einen »Brief Christi, ausgefertigt durch unseren Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern – wie auf Tafeln – in Herzen von Fleisch« (2 Kor 3,3). Als erste Jüngerin und Urbild der Kirche ist auch Maria ein mit dem Geist des lebendigen Gottes geschriebener Brief. Gerade darum kann sie »von allen Menschen erkannt und gelesen« werden
(2 Kor 3,2), auch von denen, die keine theologischen Bücher lesen können, von jenen »Unmündigen«, von denen Jesus sagt, dass ihnen die Geheimnisse des Reiches Gottes offenbart wurden, die den Weisen und Klugen verborgen sind (vgl. Mt 11,25).

Indem sie ihr »Ja« spricht – als Maria zustimmt und zu dem Engel sagt: »Ja, der Wille des Herrn geschehe« und zustimmt, die Mutter Jesu zu sein –, ist es, als würde Maria zu Gott sagen: »Hier bin ich, ich bin eine kleine Schreibtafel: Der Schreiber möge schreiben, was er will, er mache aus mir, was der Herr aller Dinge will«1. Damals war es üblich, auf gewachste Tafeln zu schreiben; heute würden wir sagen, dass Maria sich als weißes Blatt anbietet, auf das der Herr schreiben kann, was er will. Marias »Ja« an den Engel – so hat ein bekannter Exeget geschrieben – »ist der gläubigen Bedenkung von jeher als Höhepunkt alles religiösen Verhaltens vor Gott wichtig gewesen, da es in höchster Weise passive Verfügbarkeit und aktive Bereitschaft in einem bezeugt, tiefste Leere und höchste Fülle zugleich«2.

Darum also ist die Mutter Gottes Werkzeug des Heiligen Geistes in seinem heiligmachenden Wirken. In der endlosen Flut von Worten, die über Gott, über die Kirche und über die Heiligkeit gesagt und geschrieben wurden (die nur wenige – oder keiner – ganz lesen oder verstehen können), gibt sie uns nur zwei Worte vor, die alle, auch die einfachsten Menschen, bei jeder Gelegenheit sprechen können: »Hier bin ich« und »Fiat«. Maria ist es, die »Ja« gesagt hat zum Herrn und die uns durch ihr Vorbild und ihre Fürsprache anspornt, auch unser eigenes »Ja« zu ihm zu sagen, jedes Mal, wenn wir einem zu erfüllenden Gehorsam oder einer zu überwindenden Prüfung gegenüberstehen.

Braut des Heiligen Geistes

In jeder Epoche ihrer Geschichte, insbesondere aber in diesem Augenblick, befindet sich die Kirche in der Situation, in der die christliche Gemeinde nach der Himmelfahrt Jesu war. Sie muss das Evangelium allen Völkern verkünden, ist aber in Erwartung der »Kraft aus der Höhe«, um es tun zu können. Und vergessen wir nicht, dass in jenem Augenblick, wie in der Apostelgeschichte zu lesen ist, die Jünger versammelt waren mit »Maria, der Mutter Jesu« (Apg 1,14).

Es stimmt, dass auch andere Frauen zusammen mit ihr im Abendmahlssaal waren, aber ihre Anwesenheit ist anders und einzigartig unter allen. Zwischen ihr und dem Heiligen Geist besteht ein einzigartiges und auf ewig unzerstörbares Band: die Person Jesu selbst, »empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria«, wie wir im Glaubensbekenntnis sprechen. Der Evangelist Lukas hebt absichtlich die Entsprechung zwischen der Herabkunft des Heiligen Geis-tes auf Maria in der Verkündigung und seiner Herabkunft auf die Jünger am Pfingsttag hervor, indem er einige Ausdrücke gebraucht, die in beiden Fällen identisch sind.

Der heilige Franz von Assisi preist die Jungfrau Maria in einem seiner Gebete als »Tochter und Magd des erhabensten, höchs-ten Königs, des himmlischen Vaters, Mutter unseres heiligsten Herrn Jesus Christus, Braut des Heiligen Geistes«3. Tochter des Vaters, Mutter des Sohnes, Braut des Heiligen Geistes! Man hätte die einzigartige Beziehung Marias zur Dreifaltigkeit nicht mit einfacheren Worten erläutern können.

Wie alle Bilder darf auch dieses Bild der »Braut des Heiligen Geistes« nicht verabsolutiert werden, sondern muss für das Stück Wahrheit genommen werden, das es enthält, und das ist eine sehr schöne Wahrheit. Sie ist Braut, aber in erster Linie ist sie die Schülerin des Heiligen Geistes. Braut und Schülerin. Lernen wir von ihr, fügsam zu sein gegen-über den Eingebungen des Geistes, vor allem, wenn er uns nahelegt, uns »eilig aufzumachen« und hinzugehen, um jemandem zu helfen, der uns braucht, wie sie es tat, sofort nachdem der Engel sie verließ (vgl. Lk 1,39). Danke!

Fußnoten

1 Vgl. Origenes, Kommentar zum Lukasevangelium, Fragment 18 (GCS 49, S. 227).

2 H. Schürmann, Das Lukasevangelium, Freiburg im Breisgau 21969, 58.

3 Franziskus-Quellen, Assisi 1986, Nr. 281.

(Orig. ital. in O.R. 13.11.2024)