In der Einleitung zur Feier der Frühmesse im Haus Santa Marta am 13. Mai, dem Mittwoch der fünften Woche im Osterkreis, wandte Papst Franziskus seine Gedanken den Schülern und Lehrern zu:
Lasst uns heute für die Studierenden, die Schüler und die Lehrer beten, die neue Wege finden müssen, um im Unterricht voranzukommen: möge der Herr ihnen auf diesem Weg helfen, er schenke ihnen Mut und auch einen guten Erfolg.
In seiner Predigt kommentierte Franziskus das Tagesevangelium (Joh 15,1-8) vom Weinstock und den Reben:
Der Herr geht erneut auf das »In ihm Bleiben« ein, und sagt uns: »Das christliche Leben ist das in mir Bleiben«. Bleiben. Und er verwendet hier das Bild des Weinstocks, denn die Reben bleiben am Weinstock (vgl. Joh 15,1-8). Und dieses Bleiben ist kein passives Verbleiben, kein Einschlafen im Herrn: dies wäre vielleicht ein »seligmachender Schlaf«, aber das ist nicht gemeint. Dieses Bleiben ist ein aktives Bleiben, und es ist auch ein gegenseitiges Bleiben. Warum ist das so? Weil Er sagt: »Bleibt in mir und ich bleibe in euch« (V. 4). Auch er bleibt in uns, nicht nur wir in ihm. Es ist ein gegenseitiges Bleiben. An einer anderen Stelle sagt er: Ich und der Vater »werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen« (Joh 14,23). Das ist ein Geheimnis, aber ein Geheimnis des Lebens, ein wunderschönes Geheimnis. Dieses gegenseitige Bleiben. Auch mit dem Beispiel der Reben: es stimmt, die Reben können ohne den Weinstock nichts tun, weil der Lebenssaft, die Lymphe, nicht kommt, sie brauchen den Saft, um zu wachsen und Früchte zu tragen; aber auch der Baum, der Weinstock braucht auch die Reben, weil die Frucht nicht am Baum, am Weinstock hängt. Es ist ein gegenseitiges Bedürfnis, es ist ein gegenseitiges Bleiben, um Früchte zu tragen.
Und das ist das christliche Leben. Es stimmt, das christliche Leben besteht in der Erfüllung der Gebote (vgl. Ex 20,1-11), dies muss getan werden. Das christliche Leben soll sich auf den Weg der Seligpreisungen begeben (vgl. Mt 5,1-13), das muss getan werden. Das christliche Leben soll Werke der Barmherzigkeit vollbringen, wie der Herr uns im Evangelium lehrt (vgl. Mt 25,35-36), und das muss getan werden. Aber mehr noch: das beruht auf Gegenseitigkeit. Wir können ohne Jesus nichts tun, genau wie die Reben ohne den Weinstock. Und er – der Herr gestatte mir, dies zu sagen – scheint ohne uns nichts tun zu können, denn die Frucht kommt von der Rebe, nicht vom Baum, vom Weinstock. In dieser Gemeinschaft, in dieser Intimität des »Bleibens«, die fruchtbar ist, bleiben der Vater und Jesus in mir, und ich bleibe in ihnen.
Was ist – das kommt mir zu sagen in den Sinn – das »Bedürfnis«, das der Weinstock nach Reben hat? Es ist das Bedürfnis, Früchte zu tragen. Was ist das »Bedürfnis« – lasst es uns so ein wenig kühn formulieren –, was ist der »Bedarf«, den Jesus an uns hat? Das Zeugnis. Wenn er im Evangelium sagt, dass wir Licht seien, sagt er: »Seid Licht, damit die Menschen ›eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen‹« (Mt 5,16). Das heißt, das Zeugnis ist das Bedürfnis Jesu nach uns. Seinen Namen zu bezeugen, weil der Glaube, das Evangelium durch das Zeugnis wächst. Das ist eine geheimnisvolle Weise: auch der im Himmel verherrlichte Jesus bedarf nach der Passion unseres Zeugnisses, um wachsen zu lassen, um zu verkünden, damit die Kirche wachse. Und das ist das gegenseitige Geheimnis des »Bleibens«. Er, der Vater und der Geist bleiben in uns, und wir bleiben in Jesus.
Es wird uns gut tun, nachzudenken, darüber zu reflektieren: in Jesus bleiben, und Jesus bleibt in uns. In Jesus bleiben, um den Saft, die Kraft, die Rechtfertigung, die Unentgeltlichkeit, die Fruchtbarkeit zu haben. Und Er bleibt in uns, um uns die Kraft zu schenken, Früchte zu tragen (vgl. Joh 5,15), um uns die Kraft des Zeugnisses zu geben, mit dem die Kirche wächst.
Und eine Frage stelle ich mir: Wie ist die Beziehung zwischen Jesus, der in mir bleibt, und mir, der ich in ihm bleibe? Es ist eine Beziehung der Intimität, eine mystische Beziehung, eine Beziehung ohne Worte. »Ach Pater, aber das, das sollen die Mystiker machen!« Nein, das ist für uns alle! Mit kleinen Gedanken: »Herr, ich weiß, dass du hier [in mir] bist: gib mir Kraft, und ich werde tun, was du mir sagst«. Dieser Dialog der Intimität mit dem Herrn. Der Herr ist gegenwärtig, der Herr ist in uns gegenwärtig, der Vater ist in uns gegenwärtig, der Geist ist in uns gegenwärtig; sie bleiben in uns. Aber ich muss in ihnen bleiben…
Möge der Herr uns helfen, diese Mystik des Bleibens zu verstehen, zu fühlen, auf der Jesus so nachdrücklich besteht. Wie oft bleiben wir, wenn wir vom Weinstock und von den Reben sprechen, bei der Gestalt, bei der Arbeit des Winzers, des Vaters stehen: dass das [die Rebe], was die Frucht bringt, beschnitten und gereinigt wird, und dass das, was keine Frucht trägt, abgeschnitten wird (vgl. Joh 15,1-2). Es ist wahr, er tut das, aber das ist bei weitem nicht alles, nein. Da ist noch etwas anderes. Das ist die Hilfe: die Prüfungen, die Schwierigkeiten des Lebens, sogar die Korrekturen, die der Herr an uns macht. Aber lassen wir es nicht dabei bewenden. Zwischen dem Weinstock und den Reben herrscht dieses intime Bleiben. Die Reben – wir –bedürfen des Saftes, und der Weinstock bedarf der Früchte, des Zeugnisses.
Der Papst beendete die Messfeier wie immer mit der Anbetung und dem eucharistischen Segen und lud die Menschen zur geistlichen Kommunion ein.