Dreißig Jahre nach den Abkommen von Oslo

»Dieses Land verdient keine Mauern, sondern Brücken, die errichtet werden sollten«

 «Questa terra non merita muri  ma ponti da costruire»  QUO-086
14. April 2023

Interview mit Abu Mazen, dem Präsidenten des Staates Palästina


Seit der Unterzeichnung der historischen Abkommen von Oslo sind dreißig Jahre vergangen. Eine Zeit, die erlebte, wie im Lande Jesu die Hoffnung auf Frieden erwachte. Dreißig Jahre, in denen sich in jenem Land viel verändert hat. Die Politik hat sich geändert, ihre Protagonisten, die internationalen Szenarien, aber auch die israelische und palästinensische Gesellschaft. Die Erwartungen, die jene Zeit geweckt hatte, wurden enttäuscht: dreißig Jahre später scheint der Friede noch fern und der Dialog zwischen den Seiten scheint ins Stocken gekommen zu sein. Mittlerweile sind auch neun Jahre vergangen seit der von Papst Franziskus ergriffenen Initiative, die Präsidenten Shimon Perez und Maḥmoud Abbas (Abu Mazen) in die Vatikanischen Gärten einzuladen, um einen Olivenbaum zu pflanzen. Im Rahmen des Wenigen, was eine Zeitung vermag, möchten wir die Wiederaufnahme eines Dialogs herbeiführen, wir möchten jenen von Papst Franziskus gewünschten Olivenbaum wieder zu gießen beginnen, damit er wieder wachsen kann. Wir wollen das heute und in den kommenden Tagen tun, indem wir jene Zeit der Hoffnung Revue passieren lassen und den Hütern jenes Baumes das Wort erteilen. Wir fangen an mit dem Präsidenten des Staates Palästina.

Auf der Straße, die von Jerusalem nach Ramallah führt, ist bereits seit einiger Zeit die Dunkelheit angebrochen und die Straßen sind mit der Festbeleuchtung erleuchtet, die hier während des Ramadans angezündet zu werden pflegt. Der Abend ist hier bereits lau und an den Straßenrändern haben sich Familiengruppen zum iftar versammelt, dem Abendessen, das auf das lange Fasten folgt, das tagsüber eingehalten wird. Das strahlende Weiß der zur muqata, der Residenz des Präsidenten, gehörenden Gebäude hebt sich ab von der Dunkelheit einer mondlosen Nacht. Das Gespräch mit Präsident Abbās findet zu nächtlicher Stunde statt; das ist hierzulande keineswegs unüblich. Nach diversen Sicherheitskontrollen gelangen wir in einen Wartesaal, der mit einem großen Fotoposter dekoriert ist, auf dem die goldene Kuppel des Felsendoms und die beiden grauen Kuppeln der Grabeskirche so abgebildet sind, als grenzten sie unmittelbar aneinander. »Uns liegt daran, sie zusammen darzustellen, sagt uns Majdi Khaldi, diplomatischer Berater des Präsidenten, weil sie zusammen das Bekenntnis der Palästinensischen Autonomiebehörde zu dem religiösen Pluralismus darstellen, der das palästinensische Volk kennzeichnet.« Mit einer gewissen zeremoniellen Feierlichkeit werden wir in das Zimmer von Präsident Abbas eingelassen. Sein Händedruck ist kräftig, er wirkt deutlich jünger als er ist. »Sie sind hierhergekommen, um mir Fragen zu stellen. Aber zuvor will ich Ihnen eine Frage stellen: Wie geht es meinem Freund Papst Franziskus?« Und im Lauf des Interviews taucht Papst Franziskus dann immer wieder auf. Politischer oder diplomatischer Scharfsinn sind nicht im Spiel: jedes Mal, wenn er über den Papst spricht, hellt sich die Miene des Präsidenten auf, es ist offensichtlich, dass er ihn bewundert, dass er ihn sehr mag.

Herr Präsident, Sie sind der einzige Muslim (vielleicht auch der einzige inklusive der Christen), der jedes Jahr an drei Weihnachtsmessen teilnimmt. Bei den Anhängern des lateinischen Ritus, bei den Orthodoxen und bei den Armeniern. Wie würden Sie Ihre Beziehung zur christlichen Gemeinschaft in Palästina in den letzten Jahren beschreiben?

Die christliche Religion in Palästina ist ebenso wahr wie die islamische Religion. Was das Christentum in Palästina auszeichnet, ist die Tatsache, dass Jesus ein Sohn dieses Landes ist, er ist hier geboren, in der Stadt Bethlehem, in einer bescheidenen Grotte, über der später die Geburtskirche errichtet wurde, die wir besuchen, um aus Anlass des Geburtsfestes Jesu dreimal den verschiedenen christlichen Konfessionen, den Orthodoxen, den Katholiken und den Armeniern, alles Gute zu wünschen. Wir als PNA [Palästinensische Autonomiebehörde] fühlen uns diesen Kultstätten sehr verbunden, die sowohl den einheimischen Christen als auch den Pilgern, die aus aller Welt kommen, lieb und teuer sind. Eben deshalb haben wir in den letzten Jahren auch keinen Augenblick gezögert, in Übereinstimmung mit den drei Bekenntnissen, die für den Status Quo eintreten, wichtige Restaurierungsarbeiten in der Geburtskirche in Bethlehem und in der Grabeskirche in Jerusalem durchführen zu lassen. Wir begehen die christlichen Feiertage mit unserem ganzen palästinensischen Volk, Christen und Muslime gemeinsam, und bei uns gelten alle christlichen Feiertage als palästinensische Nationalfeiertage. Wir sind uns dessen bewusst, dass das Land Palästina das Heilige Land ist, wo das Christentum entstanden ist und von wo es sich in alle Welt ausgebreitet hat.

Herr Präsident, seit den Abkommen von Oslo sind dreißig Jahre vergangen, und seit damals hat der Friedensprozess keinerlei Fortschritte gemacht. In der Zwischenzeit hat es faktisch aber viele Veränderungen gegeben. So beispielsweise in der Zusammensetzung der Bevölkerung in jenem Gebiet C, dessen Definition in jenen Abkommen auf die Zukunft verschoben worden war. Meine Frage an Sie lautet: Wie kann man sich heute einen palästinensischen Staat vorstellen, wenn es kein zusammenhängendes Staatsgebiet gibt? Und: denken Sie, dass die »Zweistaatenlösung« auch heute noch konkret machbar ist?

Die palästinensische Sache hat viele Phasen durchlaufen, deren schwerwiegendste jene war, als die israelischen Streitkräfte das begangen haben, was noch heute als die größte Tragödie in Erinnerung bleibt, die dem palästinensischen Volk widerfahren ist, die Nakba [wörtl.: Katastrophe bzw. Unheil, gemeint ist die Flucht und Vertreibung hunderttausender Palästinenser aus dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet] des Jahres 1948. Mehr als die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung wurde damals aus ihrer Heimat vertrieben, und es fanden 51 Massaker statt und 529 Dörfer wurden demoliert: die größte Katastrophe unserer Geschichte, und bis heute leben noch sechs Millionen Palästinenser, sowohl Muslime als auch Christen, in Flüchtlingslagern. Dieses Jahr begehen wir den 75. Jahrestag der Nakba, und den 54. Jahrestag der Besetzung des übrigen palästinensischen Gebiets im Westjordanland einschließlich Ostjerusalem und dem Gazastreifen im Jahr 1967.

Trotz der Verabschiedung zahlreicher Resolutionen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in der Vollversammlung der Vereinten Nationen und im Menschenrechtsrat ist bis heute keine von ihnen durchgesetzt worden.

Trotz der von palästinensischer Seite gezeigten Bereitschaft zu vielen Friedensinitiativen und der Unterzeichnung von Abkommen, wie eben den Abkommen von Oslo des Jahres 1993, der arabischen Friedensinitiative des Jahres 2002, der Road Map for Peace für den Nahen Osten des Jahres 2003 und vieler weiterer Vorschläge, haben die nachfolgenden israelischen Regierungen nie auf diese Initiativen reagiert und haben auch die Abkommen, denen sie beigetreten waren, nicht respektiert. Vielmehr haben sie koloniale Praktiken eingeführt, die gegen das Völkerrecht und die Vierte Genfer Konvention verstoßen, so etwa die Errichtung illegaler Siedlungen, die Aneignung von Land, den Abriss von Häusern, die Vertreibung von Palästinensern aus ihrer Heimat, die Schändung heiliger islamischer und christlicher Stätten. All das hat dazu beigetragen, die Möglichkeit der Zweistaatenlösung zu untergraben und hat es möglich gemacht, Verbrechen ethnischer Diskriminierung im Stil der Apartheid zu begehen.

Ich muss leider konstatieren, dass viele Länder, statt Israel wegen seiner Angriffe auf das palästinensische Volk zu verurteilen und es zu zwingen, die auf der Grundlage des Völkerrechts unterzeichneten Abkommen einzuhalten, sich weiterhin im Hinblick auf die Verantwortung Israels ausschweigen und sich darauf beschränken, lediglich einer allgemeinen und oberflächlichen Nähe zu den legitimen Rechten der Palästinenser Ausdruck zu verleihen. Dessen ungeachtet geniest der Staat Palästina eine respektable internationale Anerkennung, hatte Beobachterstatus bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen und war vollwertiges Mitglied in über hundert internationalen Organisationen und Verträgen, hat Abkommen unterzeichnet und auf alle Initiativen der internationalen Gemeinschaft reagiert. Es ist in diesem Augenblick Aufgabe der Staatengemeinschaft, Israel Einhalt zu gebieten und es dazu zu zwingen, international legitimierte Entscheidungen umzusetzen und unterzeichnete Abkommen einzuhalten, der israelischen Besetzung von Territorium des Staates Palästina mit seiner Hauptstadt Ostjerusalem ein Ende zu setzen und zu den Grenzen des Jahres 1967 zurückzukehren. In der aktuellen Wirklichkeit, also jener des Einstaatensystems, herrscht hingegen das völkerrechtswidrige System der Apartheid.

Unser Volk, das mittlerweile 15 Millionen in aller Welt und im Staat Palästina lebender Palästinenser zählt, verdient es, in Sicherheit, Frieden und guter Nachbarschaft mit allen Staaten dieser geographischen Region zu leben.

Und was ist mit Gaza? Vielleicht zwei Völker in drei Staaten?

Der Gaza-Streifen ist ein wesentlicher und wichtiger Teil des unabhängigen Palästinenser-Staates und des nationalen palästinensischen Planes: Es ist unerlässlich, einen festen Willen zu haben, um allen Verschwörungen und Zerstörungsplänen, denen die palästinensische Sache ausgesetzt ist, entgegenzutreten. Der Gaza-Streifen und das Westjordanland sind seit 1967 besetztes palästinensisches Land, und den Resolutionen internationaler Legitimation zufolge sind sie Teil des Staates Palästina. Was die Hamas-Bewegung gegen die palästinensische Legitimität unternommen hat, wird vom palästinensischen Volk nicht gutgeheißen: der einzig legitime Vertreter unseres Volkes ist die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), mit ihren rechtmäßig von unserem Volk gewählten Institutionen, einschließlich des Nationalrats, der das Parlament des palästinensischen Volkes ist, und dem Exekutivkomitee unter dem Vorsitz des Präsidenten des Staates Palästina. Wir bemühen uns mit all unseren Kräften darum, den nationalen Zusammenhalt zu bekräftigen und unsere Aktionen auf die Hauptbedrohung für unser Volk und unsere Sache auszurichten, also auf die israelische Besatzung und die Notwendigkeit, uns von ihr zu befreien.

Sie, Herr Präsident, sind als ein Mann des Friedens bekannt. Vor allem unter den jungen Palästinensern, die geboren und aufgewachsen sind, ohne die Freiheit zu kennen, ist im Lauf der Jahre ein Gefühl der Frustration gewachsen, die sich oft in Gewalt entlädt, wie es in den vergangenen Tagen der Fall war. Was würden Sie den jungen Palästinensern in diesem Zusammenhang gerne sagen?

Wir sind gegen die Gewalt, vor allem dann, wenn sie gegen wehrlose Zivilpersonen gerichtet ist. Die palästinensische Jugend ist vielmehr der Stützpfeiler unseres Projekts für den Aufbau unserer nationalen palästinensischen Institutionen. Wir haben in den vergangenen Jahren dafür gearbeitet, auf staatliche Institutionen zählen zu können, die auf dem Rechtsstaat beruhen, indem wir den Frauen und den Jugendlichen Macht gegeben haben, eine Kultur des Friedens verbreitet haben und uns dafür des Dialogs, diplomatischer und politischer Methoden und des friedlichen Widerstands des Volkes bedient haben. Und den jungen Menschen in Palästina, die stolz auf ihr Land sind, sage ich, dass wir, was auch immer die Schwierigkeiten und Herausforderungen sein mögen, der sich unsere nationale Sache stellen muss, in unserem Land und im Land unserer Vorfahren bleiben müssen, da die Veränderungen, die sowohl in unserer Region als auch weltweit gerade im Gange sind, klar darauf hinweisen, dass das Ende der israelischen Besetzung unvermeidlich ist, dass sie nicht mehr fern ist. Wir wollen den Frieden. Der Friede, der erreicht werden wird, ist für uns eine strategische Entscheidung in Übereinstimmung mit den legitimen internationalen Resolutionen, um endlich unabhängig in einem souveränen Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt leben zu können, einem Staat, der auf dem internationalen Recht, der Freiheit, der Gleichheit und der Gerechtigkeit basiert.

Wir fordern die Jugendlichen und die künftigen Generationen dazu auf, das ursprüngliche Erbe Palästinas zu erhalten und den Weg zu Ende zu gehen, den wir für die Freiheit, die Würde, die Gerechtigkeit und die Unabhängigkeit begonnen haben. Wir fordern sie auf, zu studieren und sich in der Industrie, in der Landwirtschaft, im Gesundheitswesen im Bildungswesen und bei der Erbauung nachhaltiger Städte der fortschrittlichsten Technologien zu bedienen. Wir sind ein Volk, das es verdient, geliebt zu werden, ein Leben in Würde auf seinem nationalen Grund und Boden zu führen, so wie dies für alle Völker der Welt recht und billig ist.

Neun Jahre sind vergangen, seit Sie die Einladung von Papst Franziskus in den Vatikan angenommen haben, wo Sie, gemeinsam mit Präsident Shimon Perez, in den Vatikanischen Gärten einen Olivenbaum gepflanzt haben. Dieser Baum wächst sehr langsam, auch wenn Papst Franziskus sicherstellt, ihn jeden Tag mit einem Gebet zu gießen. Wie ist es möglich, den Friedensprozess wieder realistisch in Gang zu setzen?

Der Friede und die Stabilität sind eine grundlegende und konstante Forderung unserer palästinensischen Politik, die wir beharrlich durch die Umsetzung legitimer internationaler Resolutionen, durch die arabische Friedensinitiative und durch die Einberufung einer internationalen Friedenskonferenz unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen zu erreichen suchen. Gleichzeitig antworten wir auf alle internationalen Initiativen, um die unterzeichneten Vereinbarungen einzuhalten und einseitigen Aktionen Einhalt zu gebieten, die die internationale Legitimität verletzen, zur Vorbereitung des Anstoßes eines politischen Prozesses, der der israelischen Besetzung des Landes des Staates Palästina mit seiner Hauptstadt Ostjerusalem innerhalb der Grenzen von 1967 ein Ende setzen soll. Ich bin mit Ihnen einig darüber, dass der Olivenbaum, den wir gemeinsam mit Seiner Heiligkeit dem Papst gepflanzt haben, bald seine Früchte geben muss, und hoffe, dass Seine Heiligkeit Papst Franziskus weiterhin für den Frieden betet, und wir fordern ihn auf, den eingeschlagenen Weg des Friedens und der Gerechtigkeit im Heiligen Land weiterzugehen, den er eröffnet hat. Und wir vergessen auch nicht die Haltung des Vatikans im Hinblick auf die Anerkennung des Staates Palästina innerhalb der Grenzen vom 4. Juni 1967, und die Bereitschaft, eine Botschaft des Staates Palästina beim Heiligen Stuhl zu eröffnen. Ich habe die positive Antwort Seiner Heiligkeit des Papstes auf unsere Initiative, die Brücken mit Al-Azhar Al-Sharif wiederaufzubauen, sehr geschätzt, deren Höhepunkt die brüderliche Begegnung zwischen Seiner Heiligkeit Papst Franziskus mit dem verehrten Großscheich von Al-Azhar, Ahmed Al-Tayeb, und die Unterzeichnung des Dokuments über die »Brüderlichkeit aller Menschen« war.

Der Friede kennt, im Gegensatz zum Krieg, weder Sieger noch Besiegte. Der Friede ist immer das Ergebnis von Kompromissen. Wir können sagen, dass in Oslo der Friede gesiegt hat, ohne dass es Verlierer gegeben hätte. Was sind die Kompromisslösungen, die Sie heute am Verhandlungstisch präsentieren können, um zu diesen Abkommen zurückzukehren und Fortschritte in diese Richtung zu machen?

Ich glaube, ich habe Ihnen bereits in den Antworten, die ich vorher gegeben habe, Hinweise auf die Grundlagen und Mittel zur Erreichung des Friedens gegeben. Das große Problem heute ist das Fehlen eines Partners in Israel, der wirklich an einen Frieden auf der Grundlage der Zweistaatenlösung in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht glaubt. Vielmehr scheinen sich in Israel extremistische Führer und Minister durchzusetzen, die zum Hass gegen uns aufstacheln; die Siedler werden dazu ermutigt, terroristische Verbrechen gegen das palästinensische Volk zu begehen, wie es erst unlängst in der Stadt Hawara und an anderen Orten und Städten geschehen ist. Kurz und gut, das Problem ist, dass ich in diesem Augenblick auf der anderen Seite keine verlässlichen Ansprechpartner sehe.

Seit den letzten Wahlen in Palästina sind viele Jahre verstrichen. Was verhindert die Ansetzung von Neuwahlen?

Es sind die israelischen Besatzungsbehörden, die das Organisieren allgemeiner Wahlen in Palästina verhindern. Sie kontrollieren alle Details unseres Lebens, und sie haben verhindert, dass 2021 Wahlen abgehalten wurden, weil die Möglichkeit, in Konformität mit den Abkommen auch in Ostjerusalem zu wählen, verweigert wurde, genau wie es bereits in früheren Jahren geschehen ist. Unsere Bemühungen, seitens der US-Verwaltung und bei der Europäischen Union Hilfe zu erhalten, um uns zu ermöglichen, die Wahlen in Jerusalem zu organisieren, zusammen mit dem restlichen palästinensischen Land im Westjordanland und auf dem Gaza-Streifen, waren bisher leider erfolglos. Ich kann Ihnen garantieren, dass wir bereit sind, diese Wahlen unverzüglich zu organisieren, wenn gestattet wird, sie auch in Ostjerusalem abzuhalten.

Herr Präsident, seit dem ersten der sogenannten» Abraham Accords« sind drei Jahre vergangen. Was hat sich für Sie in diesen drei Jahren geändert?

Das Erreichen von Frieden, Sicherheit und Stabilität in der Region erfolgt auf dem Weg über die Anerkennung des Rechts des palästinensischen Volkes auf Freiheit und Unabhängigkeit, und, natürlich, das Ende der israelischen Besatzung. Die Umsetzung der arabischen Friedensinitiative ist, wie bereits gesagt, der richtige Weg, um dieses Ziel zu erreichen.

Was sagt die öffentliche Meinung in Palästina zum Ukrainekrieg, und wie denken Sie darüber?

Wir sind ein unter Besatzung lebendes Volk, wir leben seit 75 Jahren als Flüchtlinge, und bisher hat unser Volk keinerlei Entschädigung erhalten. Die israelische Besatzung unseres Landes ist nicht zu Ende, die internationalen Abkommen sind nicht umgesetzt worden, aber wir hören weiterhin viele falsche Einschätzungen unserer Lage. Ich kann Ihnen mit absoluter Gewissheit antworten, dass wir für das Ende aller Kriege und für die Verwirklichung des Friedens überall auf der Welt sind, damit alle Völker Sicherheit, Freiheit und Wohlstand genießen können.

Die Patriarchen und die Oberhäupter der Kirchen in Jerusalem verurteilen die wiederholten Angriffe auf Kirchen, Friedhöfe und christliche Geistliche. Sind Sie, Herr Präsident, der Ansicht, dass die internationale Gemeinschaft eine hinreichend große Sensibilität für die Bedrohungen und Gefahren zeigt, denen die christliche Präsenz im Heiligen Land ausgesetzt ist?

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Papst Franziskus während seines Besuchs und der Pilgerfahrt nach Bethlehem in fassungslosem und beredtem Schweigen vor der schlichten Demütigung stand, die die Trennmauer darstellt, und dass er seine Hand auf diese Mauer legte und den Allmächtigen darum bat, die Barrieren niederzureißen, weil dieses Land keine Mauern verdient, sondern Brücken, die errichtet werden sollten. Die Präsenz der Christen ist in Gefahr, und wir fürchten, dass das Heilige Land seine guten christlichen Kinder verlieren könnte, die hier das Salz der Erde sind. In diesem Zusammenhang bitten wir die Kirchen und die Hauptstädte der Welt, sich für das palästinensische Volk einzusetzen, um sowohl die heiligen Stätten des christlichen als auch des islamischen Glaubens zu erhalten.

Die Ratgeber des Präsidenten machen ein Zeichen, dass die Zeit abgelaufen sei, dass ihn andere Pflichten erwarten. Aber er möchte weiterreden, mehr noch als wir. Er zündet sich eine Zigarette an und trinkt einen Kaffee mit Kardamom-Geschmack und erinnert an all die Gelegenheiten, bei denen er Papst Franziskus getroffen hat, und dann erzählt er von seinen drei Kindern und neun Enkeln, die er, wie er klagt, leider viel zu selten sieht.

Das Auto, das uns nach Jerusalem zurückbringt, gleitet schnell in der Dunkelheit über die inzwischen leergefegten Straßen. Auf dem Handy unseres Begleiters kommt eine Nachricht an. »Ich habe vergessen, etwas Wichtiges zu sagen. Könnt Ihr meinem Freund Papst Franziskus meine guten Wünsche für Frohe Ostern ausrichten?«

Von unserem Korrespondenten Roberto Cetera


(Der Artikel ist entstanden unter Mitarbeit von P. Ibrahim Faltas OFM, Vikar der Kustodie des Heiligen Landes)