In einem Artikel für den Osservatore Romano ruft Rachel Goldberg Polin, deren Sohn am 7. Oktober von der Hamas in den Gazastreifen entführt wurde, zu einem weltweiten Zeichen der Solidarität mit den Entführten auf.
Am Sonntag, den 14. Januar, ist es 100 Tage her, dass mir mein einziger Sohn Hersh entrissen wurde.
Hersh ist ein Zivilist, der an einem Musikfestival teilnahm. Bevor er entführt wurde, wurde sein Arm am Ellbogen amputiert. Er besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft USA/Israel.
Es gibt keine Worte, die angemessen beschreiben könnten, was die letzten 100 Tage für mich und meine Familie bedeutet haben.
Seit seiner Entführung wissen wir nichts mehr über ihn.
Aber in dieser dunklen Zeit wurden wir mit Mitgefühl, Gnade, Liebe und Unterstützung überschüttet. Besonders bedeutsam war die Hilfe der christlichen Gemeinschaft auf der ganzen Welt. Wir haben Hunderttausende von Nachrichten von freundlichen und fürsorglichen Christen erhalten, die uns ihren Segen geschickt haben, damit Hersh stark sei und zu uns nach Hause zurückkomme. Bilder von Familientischen beim Essen am Heiligen Abend mit einem leeren Teller, auf dem Hershs Name steht, und von Menschen, die bei der Mitternachtsmette Kerzen für ihn anzünden. Diese Schönheit und Zuneigung unserer christlichen Nachbarn auf der ganzen Welt zu erfahren, hat uns zutiefst berührt.
Ich hatte die einzigartige Gelegenheit, den Heiligen Vater als Teil einer kleinen Gruppe von anderen Geiselfamilien zu treffen. Er hörte uns zu und teilte unseren Schmerz. Papst Franziskus sagte etwas, das mich veränderte. Nämlich, dass das, was wir erlebt hatten, Terror war und dass Terror »die Abwesenheit von Menschlichkeit« ist. Das war einfach, weise und inspirierend. Bis dahin hatte ich begonnen, an der Menschlichkeit zu zweifeln. Aber nachdem ich diese Worte gehört hatte, war meine Hoffnung für die Welt wiederhergestellt.
Seit der Entführung von Hersh trage ich ein Stück Klebeband über meinem Herzen, auf dem die Anzahl der Tage steht, die seit seinem Verschwinden vergangen sind. Ich benutze einen schwarzen Filzstift und schreibe die Zahl jeden Morgen darauf. Vor kurzem habe ich damit begonnen, die Weltöffentlichkeit aufzufordern, sich mir anzuschließen und das Klebeband ebenso wie ich zu tragen. Es ist ein Symbol der Solidarität in unserer zerrissenen Welt. Ich bitte alle Menschen aller Religionen, Ethnien, Nationalitäten und Altersgruppen, sich mir anzuschließen.
In unserer Welt, die so sehr leidet, an so vielen Orten und auf so viele Arten, ist dies eine einfache Möglichkeit für uns alle, uns zusammenzuschließen und zu sagen: genug. Schluss mit dem Leid der Menschen auf beiden Seiten des Konflikts. Schluss mit den Tränen. Schluss mit dem Blutvergießen. Schluss mit dem Schmerz. Schluss damit.
Der erste Schritt zum Mitgefühl ist Einheit. Der erste Schritt zur Einheit ist die Solidarität. Und der erste Schritt zur Solidarität kann ein Symbol sein.
Schließt euch mir an, dem Symbol einer leidenden Mutter. So wie die Mutter Maria weinte, weine auch ich um unsere zerrissene Welt.
Ich bete und glaube, dass die erlösende Befreiung für Hersh und die anderen geliebten Geiseln bald kommen wird; und für all die Tausende von unschuldigen Menschen, die in Gaza leiden. Die Zeit ist gekommen. Amen. So sei es.
Rachel Goldberg Polin – Tel Aviv