Interview mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin zur Reise von Papst Franziskus nach Asien und Ozeanien

Nähe und Frieden

A man walks past a welcome message for Pope Francis displayed on a main road in Port Moresby on ...
06. September 2024

Die Herausforderungen des friedlichen Zusammenlebens einer Vielzahl von Kulturen und Religionen und die Hoffnungen des Papstes standen im Mittelpunkt des Interviews, das Massimiliano Menichetti von den Vatikanmedien am 27. August mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin führte. Der Kardinal reiste allerdings am 2. September nicht gemeinsam mit Papst Franziskus ab, da seine Mutter am
31. August im Alter von 96 Jahren verstorben war. Parolin hielt am 3. September in seiner Heimatstadt Schiavon in der Provinz Vicenza ihre Beerdigung.

Eminenz, der Papst bricht zur längsten Reise seines Pontifikats auf und besucht Indonesien, Papua-Neuguinea, Timor-Leste und Singapur. Was erhofft sich Franziskus?

Kardinal Parolin: Die erste Hoffnung, die Papst Franziskus im Herzen trägt, ist die persönliche Begegnung mit der Bevölkerung der von ihm besuchten Länder. Es geht, mit anderen Worten, erneut darum, das Thema jener Nähe umzusetzen, die den Stil seines Pontifikats kennzeichnet. Und die Apostolischen Reisen sind ein besonderer Ausdruck dieser Nähe: Nähe, um zuzuhören; Nähe, um sich die Schwierigkeiten, das Leid und die Erwartungen der Menschen zu eigen zu machen; Nähe, um allen die Freude, den Trost und die Hoffnung des Evangeliums zu bringen. Mit einem Wort des heiligen Paulus würde ich sagen: Je weiter die Länder – geographisch – entfernt sind, die der Heilige Vater besucht, desto mehr spürt er in seinem Herzen diese Dringlichkeit.

Indonesien ist das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt. Die Kirche setzt sich hier in einer pluralen Gesellschaft für ein stärkeres geschwisterliches Zeugnis ein, das sich auch den sozialen und politischen Problemen stellt. Wird die Anwesenheit des Nachfolgers Petri diesen Weg in Richtung einer größeren Eintracht unterstützen können?

Kardinal Parolin: Der Papst wird Territorien besuchen, die von einer Vielzahl von Kulturen, Glaubensüberzeugungen und religiösen Traditionen gekennzeichnet sind. Es sind wirklich plurale Realitäten. Ich denke insbesondere an Indonesien, wo auch dank des Pancasila – der fünf Prinzipien, auf die die Nation gegründet ist – die Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen bis jetzt grundsätzlich im Zeichen der Akzeptanz des Anderen, des gegenseitigen Respekts, des Dialogs, der Mäßigung gelebt wurden. Gegen jede Tendenz, diese Situation zu verändern, gegen jede Versuchung zum Radikalismus, die leider in allen Teilen der Welt vorhanden ist, werden das Wort und die Gesten des Heiligen Vaters eine starke und eindringliche Aufforderung sein, diesen Weg nicht zu verlassen. Und sie werden dazu beitragen, die Geschwisterlichkeit zu erhalten und zu fördern, die, wie er zu sagen pflegt, Einheit in der Verschiedenheit ist. Die sozialen und politischen Probleme, die diesen großen Archipel herausfordern, müssen auch im Lichte dieses Prinzips angegangen werden.

In Papua-Neuguinea wird der Papst Völkern begegnen, die eine sehr alte Tradition und einen starken Glauben haben. In diesem zwar an Ressourcen äußerst reichen, aber doch sehr armen Land, wo die Natur noch unberührt ist, müssen die Herausforderungen des Klimawandels, aber auch der Ausbeutung und der Korruption bewältigt werden. Port Moresby gilt als eine der gefährlichsten Städte der Welt. Wird der Besuch des Papstes in eine neue Richtung weisen können?

Kardinal Parolin: Ja, auch in Papua-Neuguinea fehlt es nicht an Widersprüchen. Dem außerordentlichen Reichtum an Ressourcen steht oft große Armut gegenüber, verursacht durch Ungerechtigkeit, Korruption, politische und wirtschaftliche Ungleichheit. Genauso muss die unberührte Schönheit der Schöpfung die dramatischen Folgen des Klimawandels und der wahllosen Ausbeutung der Güter der Natur bewältigen. Papst Franziskus möchte alle im Bereich des Möglichen liegenden Anstrengungen fördern – von Seiten der politischen Institutionen, der Religionen, aber auch durch den Appell an die Verantwortung jedes Einzelnen –, um Veränderung anzustoßen, im Sinne eines aktiven, kontinuierlichen Engagements für Gerechtigkeit, für die Aufmerksamkeit gegenüber den Ärmsten und die Sorge für das gemeinsame Haus.

Timor-Leste ist das dritte Ziel der Papst-reise. Hier haben die Menschen jahrelang gelitten, bis zur Unabhängigkeit vor 25 Jahren. Das Land wird kommendes Jahr dem Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) beitreten, aber es gibt weiterhin ein großes Ungleichgewicht zwischen den Peripherien und dem Zentrum. Welche Botschaft wird Franziskus an diesen Ort bringen, wo Glaube und Geschichte unauflöslich miteinander verknüpft sind?

Kardinal Parolin: Da ich in meinen Jahren als Beamter im Staatssekretariat persönlich mit Timor-Leste befasst war, habe ich als direkter Zeuge das Leid wahrgenommen, das die Geschichte des Landes geprägt hat. Man hatte das Gefühl, dass es eine völlig festgefahrene, ausweglose Situation war. Deshalb habe ich das, was vor 25 Jahren mit der Erlangung der Unabhängigkeit geschah, immer als eine Art »Wunder« betrachtet. Der christliche Glaube, der Timor-Leste zum katholischsten Land Asiens macht, spielte eine entscheidende Rolle bei der Begleitung der Bemühungen in Richtung auf dieses Ziel. Ich denke nun, dass derselbe Glaube, auch durch eine tiefere spirituelle Bildung, die Timoresen bei der Umgestaltung der Gesellschaft beseelen muss, indem sie Spaltungen überwinden und Ungleichheit und Armut ebenso bekämpfen wie andere negative Phänomene: die Gewalt unter Jugendlichen und die Verletzung der Würde der Frau. Die Anwesenheit des Heiligen Vaters wird in dieser Hinsicht sicherlich einen entscheidenden Anstoß geben.

Letzte Etappe des Besuchs wird der Stadtstaat Singapur sein, ein Ort, an dem verschiedene Religionen harmonisch zusammenleben. Auf welche Weise könnte der Papst den interreligiösen Dialog weiter fördern und die Bande zwischen den verschiedenen Gemeinschaften des Landes stärken?

Kardinal Parolin: Singapur, die letzte Etappe der langen Reise, ist ein Beispiel für das friedliche Zusammenleben in der heutigen multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft. Es handelt sich um einen Stadtstaat, wo Menschen aus allen Teilen der Welt wohnen, ein Mosaik verschiedener Kulturen sowie religiöser und spiritueller Traditionen. Papst Franziskus wird junge Menschen treffen, die sich im interreligiösen Dialog engagieren, und er wird ihnen die Zukunft dieses Weges anvertrauen, damit sie die Protagonisten einer geschwis-terlichen und friedlicheren Welt sein können.

Könnte diese Reise nach Asien weitere Brücken bauen und die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den asiatischen Ländern verstärken?

Kardinal Parolin: Bei der Beantwortung dieser Frage möchte ich von Singapur ausgehen, dessen Bevölkerung mehrheitlich aus ethnischen Chinesen besteht und das daher ein privilegierter Ort für den Dialog mit der chinesischen Kultur und dem chinesischen Volk im Allgemeinen ist. Indonesien ist, wie bereits erwähnt, das bevölkerungsreichste muslimische Land: Der Besuch in Jakarta kann eine günstige Gelegenheit für eine weitere Begegnung mit dem Islam, in seiner asiatischen Komponente, bieten, aber nicht nur das. Zwei – in Kürze drei – der Länder, die der Papst besucht, sind Mitglieder der ASEAN, einer Gemeinschaft, zu der auch andere wichtige Nationen der Region gehören, darunter Vietnam und Myanmar. Die Nähe und die Friedensbotschaft, die Papst Franziskus auf dieser Reise überbringen wird, richten sich auch an diese Realität.

In dieser Zeit großer internationaler Spannungen aufgrund von Kriegen, insbesondere in der Ukraine und im Nahen Osten, ist dieser Besuch in der Tat ein Samen der Hoffnung, des Dialogs und der Geschwisterlichkeit. Wie können wir das Bewusstsein der internationalen Gemeinschaft schärfen und konkret Frieden schaffen in einer Welt, die auf einen Abgrund zuzusteuern scheint?

Kardinal Parolin: Ich komme noch einmal auf den bereits erwähnten Begriff der Nähe zurück. Um Frieden zu schaffen, muss man sich bemühen, die von jeder Apostolischen Reise nahegelegten Haltungen anzunehmen: einander begegnen, einander in die Augen sehen und aufrichtig miteinander sprechen. Wenn die persönliche Begegnung von der Suche nach dem Gemeinwohl und nicht von partikularen und letztlich egoistischen Interessen geleitet ist, kann sie selbst in den gefühlloses-ten, verstocktesten Herzen eine Bresche öffnen und einen respektvollen und konstruktiven Dialog ermöglichen.