Interview mit dem neuen Abtprimas der Benediktinischen Konföderation

Das Evangelium als Lebensstil

 Das Evangelium als Lebensstil  TED-039
27. September 2024

Der Kongress der Benediktineräbte, der in der Abteikirche der Primatialabtei Sant’Anselmo getagt hat, wählte am Samstag, 14. September, den deutschen Benediktinermönch Jeremias Schröder, 60 Jahre alt und ehemaliger Abtpräses der Kongregation der Missionsbenediktiner von St. Ottilien, zum neuen Abtprimas der Konföderation. Abt Jeremias beantwortete dem »Osservatore Romano« einige Fragen:

Ein herausfordernder Weg beginnt nun, ein Weg der Neubewertung der monastischen Option in einer Welt, die tiefgreifende Veränderungen erlebt. Das Mönchtum hat bei früheren Epochenwechseln eine entscheidende Rolle gespielt, denn es stellte den Fortbestand der Kontinuitätslinien sicher und war gleichzeitig offen für das Neue, wie es beim Übergang von der Römerzeit zum Mittelalter der Fall war. Glauben Sie, dass dies auch heute noch möglich ist?

Abt Jeremias Schröder: Zunächst einmal müssen wir bedenken, dass der Benediktinerorden nicht sehr zentralisiert ist, jedes Kloster und jede Kongregation ist im Grunde genommen autonom, so dass meine Rolle im Wesentlichen darin besteht, zu koordinieren und vielleicht in eine Richtung zu weisen. Wir müssen sicherlich verstehen lernen, was unsere Rolle in dieser historischen Phase sein kann. Eine Priorität ist der Einsatz für den Frieden.
Einige unserer Klöster befinden sich heute
in Kriegsgebieten, angefangen beim Heiligen Land. Wie können Benediktiner aktiv für den Frieden tätig sein? Mit diesem Thema wird sich unser Kongress in der nächsten Woche beschäftigen. Es ist unsere Pflicht, Brücken zu bauen zwischen dem Westen und dem Osten, die sich immer mehr voneinander entfernen. Und das Mönchtum im Osten ist eine Realität, die die Erfahrung der gesamten Ostkirchen durchdringt. Genauso wie es die monastische Erfahrung in verschiedenen Formen auch in anderen Religionen gibt. Ich glaube jedoch nicht, dass die Mönche heute eine ähnliche Rolle spielen können wie in der Vergangenheit, die Sie erwähnt haben. Aus dem einfachen Grund, dass sie nicht mehr die einzigen Akteure sind, die einen entscheidenden kulturellen Einfluss ausüben können. Die Welt ist komplexer und vielgestaltiger geworden, und die Mönche sind nicht mehr die fast aus-schließlichen Träger des klassischen Wissens.

Die Gründung der Abtei Montecassino reicht in das Jahr 529 zurück, das heißt in vier Jahren können wir das 1500. Jubiläum begehen. Das ist nicht nur ein Anlass zum Feiern, sondern auch, um zu verstehen, welche Bedeutung das Mönchtum heute hat und welchen Nutzen – und ich wage zu sagen, welche Notwendigkeit – es für die Kirche und die Welt hat. Etwas, das wir von unten her weitertragen wollen, das heißt nicht als Ideologie, sondern als von unseren Gemeinschaften bezeugten Lebensstil, der von Frieden, Freundschaft, Gemeinschaft und vom Evangelium geprägt ist.

Auch der Benediktinerorden hat einen deutlichen Rückgang der Berufungen zu verzeichnen. Gibt es Ihrer Meinung nach ein Mönchtum der Laien, einen Lebensentwurf, der intensiviert werden kann?

Abt Jeremias Schröder: Wir Benediktiner verstehen uns als Laien. Mit großer Zustimmung und Freude haben wir das Dekret von Papst Franziskus aufgenommen, das es auch Nicht-Priestern erlaubt, das Amt des Abtes zu übernehmen. Wir fühlen uns nicht in erster Linie als Kleriker, sondern als Gemeinschaft, als Volk Gottes, das heißt als Kirche. Unsere Identität ist im Wesentlichen die von Chris-ten, die zusammenleben und dabei einer Regel folgen. Und dann gibt es einige Zweige unseres Charismas, die in unserer Welt eine immer größere Rolle spielen, ich meine die Oblaten. Sie unterscheiden sich von uns nicht durch eine größere »Laizität«, sondern dadurch, dass sie nicht in Gemeinschaft leben und sich dennoch von der Regel des heiligen Benedikt inspirieren lassen.

Erlauben Sie mir auch eine persönliche Frage. Sie nehmen jetzt die Rolle ein, die der kürzlich verstorbene Abt Notker Wolf, ebenfalls aus St. Ottilien, innehatte, dessen Schüler und Freund Sie waren.

Abt Jeremias Schröder: Das ist ein sehr bewegendes Gefühl für mich. Abt Notker hat eine große Rolle für die Benediktinische Konföderation gespielt und war auch hier in Rom sehr beliebt. Ich war sein Sekretär und dann sein Nachfolger in der Kongregation von
St. Ottilien. Er war eine große Persönlichkeit. Nicht nur ein großartiger Mann, sondern auch ein Mann von großer Kultur, ein großer Musiker, ein Mann und Mönch mit den vielseitigsten Interessen. Ich habe heute viel an ihn gedacht. Die Äbte haben nicht wieder einen Deutschen gewählt, sondern einen Abt aus
St. Ottilien, denn unsere Kongregation hat Niederlassungen in der ganzen Welt, mit Affiliationen auf vier Kontinenten. Ich werde versuchen mich, soweit es meine Fähigkeiten erlauben, von seinem Weg inspirieren zu lassen und hoffe, dass er mir vom Himmel her seinen Schutz gewähren möge.

(Orig. ital. in O.R. 16.9.2024)

Von Roberto Cetera